Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
sogar Ritter, obwohl die eigentlich nicht zur Hochzeit eines Kaufmanns kommen. Aber deine Großeltern hatten diesen Hochzeitssaal in einem Steinhaus, während die meisten Adeligen nur Burgen aus Holz kennen. Höchstens der Wohnturm ist aus Stein.«
Martin schwieg und blickte in Fernen, die er nur geahnt, nie geschaut hatte.
»Ich glaube, bei dieser Hochzeitsfeier geschah es. Mein Vater war einer von denen«, er brach ab. »Aber wie soll ich herausbekommen, wer es war. Und selbst, wenn ich es wüsste. Der würde sich vielleicht gar nicht mehr daran erinnern oder wollte es nicht. Ich kann doch nicht zu einem reichen Kaufmann oder zu einem Ritter gehen und sagen: ›Euer Gnaden sind vielleicht mein Vater.‹ Außerdem weiß ich es wirklich nicht. Sie hatten ja auch noch Knechte bei sich. Davon könnte es auch einer sein. Und nun ist meine Mutter tot.«
Martin schwieg und Alice hielt noch immer seine Hand. Sie sah es ein, sie war verständig und es war selbstsüchtig, ihn zu bitten hier zu bleiben, ihretwegen auf Jerusalem zu verzichten. Sie müsste eben leiden.
Ach, wenn sie doch mit könnte …
»Also heute schon«, sagte sie. »Wenn die Nacht vorbei ist, ziehst du fort.«
Sie trennten sich unter Tränen. Doch dann drückte Martin Alice von sich und hastete hinauf auf sein Strohlager.
Am Morgen versammelten sich Kreuzfahrer, ihre Verwandten und Freunde auf dem weiten Domplatz. Martin und die anderen Männer und Frauen, die sich dem Kreuzzug anschlossen, wurden an ihren Eid erinnert, dass sie das Heilige Grab Jesu Christi zurückerobern wollten und bei der Strafe des Kirchenbanns nicht nach Passau zurückkämen, bevor sie nicht Jerusalem erreicht und ihre Mission erfüllt hätten.
Jetzt warteten sie auf den Abmarsch. Alle trugen einen breiten Pilgerhut, einen Umhang, auf den ein rotes Kreuz aus irgendeinem Stoff genäht war, ein Bündel mit den wichtigsten Habseligkeiten, eine Decke aus Wolle oder aus Schafsleder. Die lederne Trinkflasche hatten sie an den Gürtel gebunden, in der Hand hielten sie den Pilgerstab. Geld hatte kaum einer dabei. Schon gar nicht so viel, um eine so lange Reise bis nach Jerusalem nur irgend bestreiten zu können. Wovon sie also leben sollten, davon hatten sie lediglich eine sehr verschwommene Vorstellung. Sie hofften auf eine Anstellung bei einem Adeligen und selbstverständlich – wie es in Kriegen üblich und erlaubt war – auf Beute.
Alice wollte zu Martin hinübergehen, doch er machte ein stolzes, fremdes Gesicht, das sie abhielt. Überhaupt sah er anders aus als sonst. Er trug nicht seine übliche verschlissene Kleidung, sondern statt der braunen eine mit Leinen gefütterte Jacke aus blauem Wollstoff und ein dazu passendes blaues Wams, allerdings keine Beinlinge, sondern Hosen. Die Schuhe waren fester als die, die er bisher hatte. Obwohl wertvoller, blieb die Kleidung doch seinem Stand angemessen.
Alice überwand ihre Scheu und ging auf die Gruppe der jungen Pilger zu.
Auf ihren fragenden Blick flüsterte Martin, er habe die Sachen letzte Nacht vom Abt geschenkt bekommen. Es seien dessen eigene gewesen, bevor er ins Kloster eingetreten sei. Er habe sogar noch Kleidung aus kostbarem Stoff erhalten, habe jedoch versprechen müssen, sie niemals aus Eitelkeit, sondern nur in der Not zu tragen. Sonderbar, nicht? Dabei blickten die beiden jungen Menschen zu dem Abt hinüber. Der stand bei einem freundlich aussehenden Mönch, von dem er sich herzlich verabschiedete. Martin flüsterte Alice zu, der Mönch müsse Markus sein, der gegen die Regel der Ortsgebundenheit das Kloster für diese Pilgerfahrt verlassen durfte.
»Ich wusste gar nicht, dass Mönche so kräftig sein können«, flüsterte sie ihm zurück.
»Was du nur so denkst«, antwortete er.
Sie beobachteten gemeinsam, wie der Abt, als Onkel konnte sich Alice ihn nach wie vor überhaupt nicht vorstellen, den Mönch zum Abschied umarmte.
Der Pilgerzug setzte sich in Bewegung. Alice fasste Martins Hand.
»Deus vult! Deus vult!«, riefen die Kinder, Frauen und Männer, die sich nun zum Heiligen Grab aufmachten, und die ganze Stadt schien in diesem Ruf widerzuhallen. Der Abt segnete die Pilger, wie auch die Priester segnend durch die Reihen der Menschen gingen, von denen niemand wusste, ob er jemals diese Gasse zur Donau wieder heruntergehen würde.
Alice’ Vater befand sich allerdings noch nicht unter den Pilgern, die nun schnellen Schrittes, begleitet von ihren Angehörigen, durch das Immunitätstor davoneilten, um
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