Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
dürfen. Und dann ziehen wir wieder ab nach Frankreich oder ins deutsche Land und sagen: Danke. Das war’s.«
»So blöd finde ich die gar nicht«, erwiderte Bernhard. »Wenn ich Iftikhar ad-Daulah wäre, wovor mich Gott bewahren möge, also wenn ich Kommandant von Jerusalem wäre, dann würde ich genauso entscheiden und handeln wie er.«
Achard kratzte sich am Kopf: »Also wenn Ihr ein Moslem wärest, dann würdet Ihr genauso denken wie Ihr als Christ?«
»In Kriegsdingen ja.«
»Und wie denkt Eurer Meinung nach Iftikhar ad-Daulah?«
»Er betrachtet uns als Verlierer.«
»Wieso Verlierer? Es hat noch gar keinen Angriff gegeben.«
»Der Kommandant betrachtet uns mit Sicherheit als Verlierer. Die Ungläubigen sehen uns jetzt bereits so tot wie die Christen in Melitene, die restlos, bis auf das letzte Kind, von den Ungläubigen umgebracht oder in die Sklaverei verkauft worden sind.«
Bernhard schwieg. Er dachte an Alice und an seinen kleinen Sohn. Er kannte Hanno kaum, der Junge war nichts als ein Bastard, doch hing er an dem Jungen, wie er sich das kaum eingestehen mochte.
»Es ist ganz klar, Iftikhar ad-Daulah kennt unsere Lage genau«, fuhr Bernhard fort.
»Die ägyptische Garnison da oben in Jerusalem weiß durch ihre Späher und Spitzel, ihre Verständigung durch Brieftauben, gegen die wir nichts ausrichten können, dass weder Bohemund aus Antiochia noch Balduin de Boulogne aus Edessa uns beistehen wollen noch können, weil die Entfernungen viel zu groß sind und sie dazu noch ihre eigene und die christliche Machtposition in der Region gefährden würden.
Iftikhar ad-Daulah weiß auch, dass selbst wenn wir die Belagerung aufgäben, wir keine Möglichkeit zum Rückzug hätten. Den ganzen Weg auf dem Landweg durch feindliches Gebiet, ohne Lebensmittel und vollkommen erschöpft, schaffen wir nicht, und Schiffe, die uns nach Zypern oder nach Italien bringen könnten, haben wir nicht, abgesehen davon, dass die Ägypter Jaffa, unseren einzig erreichbaren Hafen, abschirmen.
Also fort von hier können wir nicht. Wir sitzen in der Falle und die Zeit arbeitet gegen uns. Der Kommandant kann uns demnach genüsslich vor den Toren Jerusalems verdursten und verrecken lassen und seelenruhig darauf warten, dass das Heer aus Ägypten, das bald erwartet wird, uns an den Mauern Jerusalems zerquetscht.« Bernhard drückte Zeigefinger und Daumen zusammen, als zerquetschte er eine Fliege.
»Hoffentlich nicht. Hoffentlich erobern wir mit Gottes Hilfe morgen Jerusalem, wie uns der Einsiedler auf dem Ölberg prophezeit hat«, seufzte Achard.
»Mit nur einer einzigen Sturmleiter?«, fragte Bernhard zweifelnd.
»Wollt ihr wohl leise sein!«, ließ sich Olivier hören und drehte sich zur Zeltwand, wobei sein dünnes Tuch, das er sich trotz der Hitze übergelegt hatte, verrutschte und seine großen Zehen sichtbar wurden.
Bernhard und Achard mussten lachen.
»Das geht auch Euch an!«, rief ihm Bernhard zu. »Ich habe gerade von Martin erfahren, dass Graf Raimond sein Lager vom Jaffa-Tor zum Zionstor verlegt. Wahnsinn ist das, er hat sich nun, für alle sichtbar, von Gottfried getrennt. Aber das ist noch nichts alles.«
Bernhard seufzte. »Graf Raimond wird sich morgen am Sturmangriff nicht beteiligen. Wir müssen ohne sein Heer kämpfen.«
»Was?«, rief Olivier und war mit einem Schlage mehr als wach.
»Wieso macht er nicht mit?«
»Eitelkeit, nichts als verletzte Eitelkeit«, antwortete Achard und sah sehr düster aus.
»Herzog Gottfried hat ihm nicht bei der Belagerung von Akkâr geholfen, also hilft Graf Raimond Gottfried beim Sturmangriff morgen auch nicht. So einfach ist das.«
»Wenn ich nur einen Tropfen Spucke im Mund hätte, ich würde ihn ausspeien«, sagte Olivier trocken.
»Na ja, und dann ist der hohe Herr natürlich auch noch beleidigt und gekränkt, weil Tankred zu Gottfried übergewechselt ist und behauptet, Graf Raimond habe ihm zu wenig für seinen Einsatz in Akkâr bezahlt.«
Es entstand eine Pause, in der das Schreien der vor Durst verendenden Tiere zu ihnen drang.
»Die Tierkadaver stinken«, sagte Bernhard in die Stille hinein.
Dann schwiegen sie wieder.
»Nein«, überlegte Olivier schließlich, »das ist nicht nur verletzter Stolz. Leider. Graf Raimond hat so viel Blutgeld in Akkâr sinnlos vergossen, dass er es seinen Leuten nicht zumuten kann und will, noch mehr zu bezahlen.«
»Womit Ihr sagt«, folgerte Achard, »dass der Sturmangriff morgen sinnlos ist.«
»Ist er es denn nicht?«,
Weitere Kostenlose Bücher