Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
fragte Olivier zweifelnd und starrte bekümmert und sorgenvoll vor sich hin.
»Wir werden Jerusalem erobert haben, bevor die Sonne morgen untergeht. Ich glaube, dass der Einsiedler Gottes Willen verkündigt, ich muss es glauben«, sagte Achard fest und zweifelnd zugleich.
»Ist ›glauben müssen‹ und ›glauben‹ dasselbe?«, bemerkte Bernhard mehr zu sich als zu den anderen.
»Eines ist ganz gewiss wahr«, sagte Olivier betrübt. »Wenn wir es schaffen sollten, unsere einzige Sturmleiter über den ersten Wall bis zur Befestigungsmauer Jerusalems zu bringen, dann ist der Weg dahin mit unseren Leichen gepflastert, dann ist das kleinste Fitzelchen Erde mit unserem Blut durchtränkt.«
»Nun ist es aber genug«, unterbrach ihn Bernhard. »Wir haben keine andere Wahl und dass wir im Kampf sterben können, das wissen wir nicht erst seit heute.«
»Ich frage mich aber manchmal«, überlegte Achard, »ob man im Voraus erkennen kann, wer in einer Schlacht fällt und wer nicht. Hat Gott einen Plan, entscheidet Gott, wer umkommt? Und wenn er bewusst den Einzelnen abberuft und in den Tod schickt, ist es dann eine Strafe oder eine Gnade zu sterben?«
»Eine Gnade, hoffe ich«, sagte Martin, der unerwartet noch so spät zusammen mit Markus eintrat.
»Entschuldigt, dürfen wir …?« Die Männer nickten ihnen aufmunternd zu.
»Ich würde gerne etwas über den Sturmangriff erfahren, denn ich will mich morgen dem Heer Gottfrieds anschließen und Markus wird sowieso die Verwundeten trösten und die Sterbenden ins Jenseits begleiten.«
»Was ich gerade getan habe. Gräfin Elvira von Toulouse ist heute niedergekommen. Das Kleine ist wenige Stunden nach der Geburt gestorben. Die Gräfin hatte eine Vorahnung, dass ihr Kind den Tag nicht überleben würde, und so wurde es sofort nach der Entbindung getauft. Als der Junge im Sterben lag, haben wir Mönche ihm den Weg aus dieser Welt mit Gebeten und Psalmen bereitet.«
Bernhard dachte wie erschlagen für sich: Natürlich ist es gestorben. Wie soll ein Neugeborenes bei diesem Staub, dieser Trockenheit und Hitze nicht das Fieber bekommen und sterben?
Wieder beschlich ihn die Angst: Wenn Hanno stirbt …
»War das nun für das Kind eine Gnade oder Strafe?«, nahm Achard den Gesprächsfaden wieder auf.
»Das ist schwer zu entscheiden«, sagte Markus. »Auf jeden Fall war es nicht sündig durch eigene Schuld, allerdings durch die Erbsünde.«
»Womit wir wieder bei der Frage sind, ob der gewaltsame Tod eine Strafe ist. So fühlen und denken wir doch alle, dass wir bestraft werden für unsere Sünden.«
»Nein!«, schrie Martin auf, dass ihn alle entsetzt ansahen.
»Nein, denkt an Theresa. Wollt ihr behaupten, Theresa sei schuldig gewesen, schuldiger als wir alle?«
Er brach ab und jeder der Männer sah das Bild vor sich, wie Theresa auf der Stadtmauer von Antiochia enthauptet wurde.
»Sicher nicht«, antwortete Olivier leise und zog das Tuch über seinem nackten, langen, trotz der Muskeln schlaksig wirkenden Körper noch enger zusammen.
»Es gibt da natürlich keinen Zusammenhang«, sagte er versöhnlich. »Wie könnten wir behaupten, dass die vielen, nein die meisten, die mit uns aufgebrochen sind und die nun schon tot sind, sündiger gewesen sein sollten als wir. Denkt an Anselm von Riboment, der wahrhaftig ein gottesfürchtiger Mann war und immer den Armen von seinem Reichtum gegeben hat. Oder an den schönen Wilhelm, an den Bruder Tankreds. Ja, ja, schön war er, lacht nur, wir haben ihn doch alle so genannt. Der war fast noch ein Kind, als er in der Schlacht von Doryläon tödlich von einem Pfeil getroffen wurde.«
»Ich weiß nicht«, meinte Achard. »Das hieße ja, dass wir für unsere Sünden nicht bestraft werden. Das habe ich anders gelernt.«
»Aber es ist so«, sagte Markus.
Die Ritter sahen ihn gespannt an. Es kam nicht häufig vor, dass sich Markus mit Bestimmtheit zu Wort meldete.
»Unser Herr Jesus Christus hat uns selbst den Weg gewiesen, wie wir über Sünde und Strafe zu denken haben. Den Teich von Siloah kennen wir nun aus eigenem Leiden«, sagte er und sah die Ritter der Reihe nach an, in denen das verzweifelte Gefühl aufstieg, dass zu ihrer Schikane und Folter das einzig trinkbare Wasser unmittelbar in Schussweite ihrer Feinde lag und selbst nachts Fackeln brannten, um Verdurstende abzuschießen.
Bernhard ritzte Muster in den Sand und fragte sich bang, ob es ihm noch einmal gelingen würde, von den Wachen unbemerkt, für sich, Alice und seinen
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