Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Hanno Wasser zu schöpfen. Und ob das Wasser überhaupt noch trinkbar wäre. Die Quelle sprudelte ohnehin nur alle drei Tage einmal, dann jedoch stürzten sich die vor Durst verendenden Tiere hinein und ersoffen kläglich darin, sodass ihre Kadaver schon jetzt auf dem Wasser schwammen.
»Da stand zu Jesu Zeiten ein Turm«, fuhr Markus fort. »Dieser Turm brach zusammen und es wurden 18 Menschen erschlagen. Dieses Ereignis muss die Leute damals sehr erregt haben. Jesus richtet an seine Zuhörer die Frage: ›Meint ihr, dass diese Erschlagenen schuldiger waren als alle anderen Menschen, die in Jerusalem wohnen?‹
Die Antwort ergibt sich von selbst. Sicher waren sie nicht schuldiger. Die Erschlagenen waren lediglich Menschen, die sich gerade im Turm aufhielten – weiter nichts.«
»Und das ist alles?« Achard blickte sehr zweifelnd.
»Nun, nicht ganz. Jesus sieht seine Zuhörer schon als Sünder und fordert sie zur Umkehr auf.«
»Na also«, bestätigte Achard zufrieden.
»Genau das, meine Freunde, tun wir«, sagte Olivier schwärmerisch begeistert. »Wir haben unser altes Leben aufgegeben. Wir sind Jesus nachgefolgt und Papst Urban hat uns für unser Opfer die Sündenvergebung, die Befreiung von irdischen und himmlischen Strafen zugesagt.«
»Es ist nur erstaunlich«, gab Bernhard zu bedenken, »dass kein wirklich Großer dieses Opfer vollbringen wollte und sich auf den Kreuzzug begeben hat, nicht der Papst, kein König, bis auf den Grafen Raimond von Toulouse kein wirklich Mächtiger in seinem Reich. Balduin, Bohemund, Tankred, selbst Herzog Gottfried, die beiden Roberts, sie alle besaßen nichts oder waren letztlich unbedeutend, solange sie im Abendland lebten. Wer aber wirklich etwas zu verlieren hatte, der blieb zu Hause.«
»Bis auf Euch«, sagte Achard lauernd und wies auf Bernhard.
»Nun, ich bin kein Königssohn«, entgegnete Bernhard und fühlte sich sehr unbehaglich.
»Aber Graf und einziger Sohn und Erbe.«
Es entstand eine Pause. Bernhard ahnte, was jetzt käme, und wappnete sich mit einer frommen Antwort.
»Es ist zwar üblich, Gott ein Opfer zu bringen«, setzte Achard nach. Aber ich habe mich bisweilen gefragt, warum Euer Vater diese Gefahr einging, Ihr könntet auf dem Kreuzzug sterben und Euer Lehen fiele an die Kone zurück.«
Weil er mich umbringen wollte, dachte Bernhard düster. Weil er mir nie, aber auch niemals geglaubt hat, dass ich meinen Bruder nicht aus dem Fenster gestoßen habe.
»Es war mein Wunsch«, entgegnete Bernhard. »Ich wollte dort beten, wo Jesu Füße gestanden haben.« Mehr zu sagen, ließ er sich nicht herab. Aber eine Flut von Bildern wirbelte auf ihn ein und über die Jahre hinweg hallte die Anklage: ›Kain, wo ist dein Bruder? Hast du ihn getötet?‹
»Genug geredet, lasst uns endlich schlafen«, sagte Olivier, gähnte und verkroch sich wieder der Länge nach unter seiner Decke.
»Martin und Markus, Ihr könnt gerne bis zum Angriff bei uns übernachten«, schlug Achard vor. Schon im Halbschlaf, murmelte er:
»Vielleicht ist es unsere letzte Nacht auf dieser segensreichen Erde.«
Auch Bernhard legte sich hin. Einen Augenblick starrte er in die Dunkelheit, horchte auf die Geräusche im Lager, sprach im Stillen ein Gebet, wurde schläfrig.
Im Traum schien sein Wunsch in Erfüllung zu gehen. Er sollte das Lehen in Niederlothringen aus den Händen Herzog Gottfrieds empfangen.
Stolz hob er den Kopf und zog für diesen sehnlich erwarteten Festtag über sein Kettenhemd ein buntes Gewand, bestickt mit blauen Bären, und darüber seinen kostbaren Pelz. Die neuen Schuhe nahm er in die Hand und überlegte, welcher von beiden als rechter oder als linker Schuh geeignet sei. Eigentlich sahen sie ganz gleich aus. Einen Spiegel besaß er leider nicht, um sich in all seiner Pracht zu bewundern, und so verließ er, trotzdem sich seiner Wirkung bewusst, das Zelt und ging unter der glühend heißen Sonne durch Wüstensand zu dem weiten Platz im Lager, wo der zusammensteckbare Stuhl des Herzogs Gottfried von Bouillon schon wie ein Thron aufgebaut war. Gottfried saß darauf im langen, mit Goldfäden durchwirkten Gewand, mit kostbaren Pelzen behängt, umgeben von allen Großen der Pilgerfahrt, die, ebenfalls festlich gekleidet, der Zeremonie beiwohnen wollten.
Als Bernhard erschien, verstummte das allgemeine Gemurmel, und als er sich vor Gottfried hinkniete, wurde es ganz leise.
Nur in die Stille hinein erklang ein kleines Jungenstimmchen, das aufgeregt so etwas wie
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