Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
stumpfsinnig vor sich hinstarrenden Menschen waren in Bewegung geraten.
»Überfall!«, vernahm sie von überallher. »Soldaten der Garnison von Askalon haben einen Überfall gemacht. Es gibt viele Tote. Viele Ritter.«
Bernhard, dachte sie. Gott straft uns.
Den kranken, stillen, fiebernden Hanno im Arm, drängte sie sich mit der Menge an den Rand des Lagers. Niemand war zu sehen, keine Pferde zu hören. Woher kam überhaupt dieses Gerücht? Alice fragte eine junge adelige Frau, von der Bernhard ihr erzählt hatte, dass Achard sie in Jerusalem heiraten wollte. Die stand ganz weit am Rand und stellte sich auf die Zehenspitzen.
Es dunkelte schon und die schnell hereinbrechende Nacht des Südens würde bald alles Licht verschlucken, da kamen Männer den steilen Hang hinaufgeritten, eine kleine Schar.
Balduin von Le Bourg an der Spitze schien an der Brust verletzt. Neben ihm ritt, an den Händen gefesselt, ein Sarazene, sehr groß, sehr edel, ein vornehmer Mann von fürstlicher Gestalt mit einem Kahlkopf, der von der staunenden Menge angegafft wurde.
Wer allerdings einen Menschen zu verlieren hatte, der achtete nicht weiter auf Balduin von Le Bourg noch auf den Sarazenen. Das Wehklagen begann, als Frauen und Männer und auch die Kinder bemerkten, wer fehlte oder wessen Leichnam von einem Freund vorne aufs Pferd gebunden war.
Alice, den sterbenskranken Hanno im Arm, bekreuzigte sich, als sie Bernhard erblickte.
Auch er führte eine Last mit sich, den toten Achard von Montemerle.
Noch am Abend brachen Alice und Bernhard mit dem kranken Hanno Richtung Bethlehem auf. Martin hatte Rab zu Alice’ Zelt geführt und sie so eindringlich ermahnt, acht auf das Pferd zu geben, dass sie unwillig nur noch »Ja, ja« erwidert hatte. Es war ihr lästig, es war doch klar, dass sie auf Rab aufpassen und vorsichtig sein würde.
Nun, da sie neben Bernhard dahinritt, konnte sie Martin verstehen. Rab war eines der ganz wenigen Pferde, die von Anfang an dabei waren, die all die Strapazen, Gefahren und Kämpfe überlebt hatten. Bernhard besaß keines mehr von den Pferden, mit denen er damals in Passau in den Kaufmannshof ihres Vaters gesprengt war. Es war gleichgültig, so überlegte sie, ob nun Rab ihr oder Martin gehörte, wichtig war allein, dass sie das Pferd gesund zu ihm ins Lager zurückbrachte, dass Rab überhaupt überlebte, nicht nur um ihret- oder Martins willen, sondern um seiner selbst. Alice empfand Zärtlichkeit für das Tier und klopfte ihm anerkennend auf den Hals. Sie nahm sich vor, wirklich aufzupassen, was bei dem fahlen Licht der Mondsichel und dem Geröll und Steinbrocken auf dem Weg nicht ganz einfach war. Jedenfalls der heiße Wind hatte sich gelegt.
Sie ritten Schritt, Bernhard schweigsam und müde neben ihr. Kein Wunder, dachte Alice, nach dem Kampf, den es bei Ramla gegeben hatte. Kaum einer der Männer, mit denen Achard am Morgen ausgeritten war, befand sich lebend unter den Männern, die nachmittags ins Lager zurückkehrten.
»Was ist denn eigentlich geschehen?«, sprach sie ihn an.
Bernhard schreckte auf.
»Heute?«
»Ja, natürlich.«
»Achard und Giselbert von Traves hatten mit ihren Männern geplündert und Viehherden zusammengetrieben, als sie von Soldaten der Garnison von Askalon überfallen wurden. Achard und Giselbert wurden getötet, einigen ihrer Leute gelang es zu entkommen, sie trafen auf uns, sodass wir zu dem Kampfplatz ritten und die Angreifer in die Flucht jagten. Den vornehmen Sarazenen, den wir gefangen genommen haben, will Balduin von Le Bourg zum Christentum bekehren. Mal sehen …«
»Und wenn nicht?«
»Dann wird er geköpft.«
Alice war davon unangenehm berührt. Schweigend ritten beide weiter.
»Die ägyptischen Soldaten sind sehr gut bewaffnet, ausgeruht und kampferprobt, das haben wir heute bitter zu spüren bekommen«, sagte Bernhard besorgter, als er wollte. Er machte ein ernstes Gesicht und blickte zurück nach Jerusalem.
»Sie durchstreifen die Gegend und sehen zu, dass sie uns Christen ausfindig machen und töten?«, ergänzte Alice seine Andeutung.
Bernhard antwortete nichts darauf.
Alice fühlte sich zunehmend unbehaglich. Es überkam sie Angst um ihren Hanno, der endlich etwas ruhiger im Tragetuch vor ihrer Brust schlief. Die Kühle der Nacht schien ihm gutzutun. Alice strich sanft über sein Gesichtchen, die Stirn fühlte sich kälter an und sein kleiner Körper glühte auch nicht mehr so stark. Alice atmete auf, betete, dass die Krankheit zu überwinden
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