Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Martin wenig. Ihm war irgendwie bewusst, dass sie ihm Abbitte leisten wollte für das, was sie tat. Auch wenn ihn, Martin, ihr Verhältnis zum Ritter von Baerheim nicht wirklich etwas anging, so war er doch Zeit ihres Lebens wie ein Bruder gewesen. Und fast einmal ein Geliebter. Und nun waren sie wie durch unsichtbare, aber eherne Wände voneinander entfernt, sodass sie nur selten miteinander irgendein Wort sprachen. Dabei sah Martin Alice mit dem Ritter kaum jemals zusammen. Alice ritt auf ihrer prächtigen Stute im Zug der Frauen, Kinder und Kranken in der Mitte des Heeres, begleitet und umfasst von Reitern und Fußsoldaten, die die Wehrlosen im Falle eines unerwarteten Angriffs beschützen sollten. Bisweilen gesellte sich Bernhard hinzu, blieb eine Weile neben Alice und sprengte wieder davon zu Balduin de Boulogne und seinen Rittern.
Als Martin dann doch einmal das Bedürfnis hatte, mit Alice zu sprechen, bemerkte er zu seiner eigenen Genugtuung, wie er feststellen musste, dass ein Hauch von Traurigkeit auf ihrem Gesicht lag. Ansonsten wirkte sie gefasst und energisch.
»Wie kommst du klar, so ohne deinen Wagen?«, sprach er sie an.
»Ganz gut, ich kann im Zelt einer Freundin übernachten, bei Theresa. Kennst du sie?«
Martin schüttelte den Kopf.
»Vielleicht doch. Theresa hat dicke, rötlich braune geflochtene Haare, so immer zu einem Kranz gewunden, blaugrüne Augen und Sommersprossen. Sie müsste dir doch aufgefallen sein.«
»Nein, wirklich nicht.«
»Ist ja auch gleichgültig. Jedenfalls, bei ihr konnte ich unterkommen. Sie ist allein wie ich, ich meine, ohne Eltern. Theresas Vater ist schon lange tot, bei einem Reitunfall ums Leben gekommen. Ihre Mutter ist vor Kurzem gestorben, sie war Amme im Dorf Bouillon in Niederlothringen. Als Herzog Gottfried nun sein Heer für den Kreuzzug sammelte, schloss sie sich den Pilgern an.«
Martin antwortete darauf nicht.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
»Doch, doch«, nickte der junge Mann. »Erzähl nur weiter.«
»Jedenfalls lerne ich von ihr Französisch oder jedenfalls so ähnlich. Ist ja wahnsinnig, was die Leute hier auf der Pilgerfahrt so alles sprechen. Ich bin sicher«, plauderte sie weiter, erleichtert, einmal mit Martin reden zu können, »dass in Jerusalem die Franken das Sagen haben werden, weil sie die meisten Pilger sind. Bernhard hat die Sprache von seiner Amme schon als Kind gelernt und kann sich fließend mit ihnen verständigen.«
Die Erwähnung Bernhards war nun wieder nicht richtig, Alice bemerkte es sofort.
Es war auch nicht zu übersehen, denn Martin verabschiedete sich kurz und ritt davon.
Meistens war er gut gelaunt und froh, keinen Anflug von Leid in seiner Seele aufkommen lassen zu müssen. Nur manchmal, wenn er die jungen Ritter beobachtete, die ihn nicht beachteten, für die er Luft war, wenn er Bernhard sah, der ihn schon immer von oben herab behandelt hatte, dann überkam Martin der Kummer, dass es aus dieser Gesellschaft, in der allein die Geburt über den Stand entschied, kein Entrinnen gab.
Er war zum Knecht geboren. Da halfen auch keine Fluchtpläne wie vor einem Jahr, als er, kurz nachdem seine Mutter gestorben war, das Kreuz nehmen und sich dem Heer Peters des Einsiedlers anschließen wollte. Allein seine Armut hatte ihn daran gehindert. Er hätte vagabundierend mitziehen, hätte plündern müssen, um überhaupt am Leben zu bleiben.
Doch auch jetzt blieb er trotz des Geldes, das der Abt ihm geschenkt hatte, und trotz der besseren Kleidung von niederem Stand und dazu noch ein Bastard.
Denn eines war allen Rittern gemeinsam, die da in ihren Kettenhemden übermütig ihre Pferde ausgreifen ließen: Sie hatten eine Familie, die ihnen die Rüstungen, die Helme, Sporen, Schlachtrosse, die Lanze, den Schild und, als Wichtigstes, das Schwert bezahlt hatte. Dabei waren die meisten Familien der Ritter keineswegs vermögend, lebten auf ihrer hölzernen Turmburg mit den Wirtschaftsgebäuden oftmals kaum komfortabler als ein reicher Bauer. Der hohe Preis aber für all diese ritterliche Pracht und Herrlichkeit konnte in der Regel nicht auch noch für die zweit- und drittgeborenen Söhne ausgegeben werden.
Doch Martin hatte kaum einen Blick für die vielen jungen Männer, die, obwohl von Adel, ein trostloses Leben in Abhängigkeit hätten führen müssen, wenn nicht der Kreuzzug sie aus diesen engen Lebensverhältnissen befreit hätte. Er sah nicht die Männer, die als milites plebei, berittene Bewaffnete, im Gefolge der großen
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