Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Herren mitzogen und eigentlich nichts hatten außer ihrem Pferd. Denn sogar Herzog Gottfried von Bouillon wäre als zweitgeborener Sohn fast leer ausgegangen, wäre nur ein lästiger Esser unter dem Dach seines älteren Bruders Eustachius gewesen, wenn er nicht in seinem buckligen Onkel Gozolo von Niederlothringen einen väterlichen Freund gefunden hätte, der ihn als Erben eingesetzt hatte.
Ja, selbst Bernhard hätte so ein trauriges Leben fristen müssen, wäre sein älterer Bruder nicht als Kind beim Spielen aus dem Fenster gefallen.
»Na, was ist?«, wurde er von Markus aus diesen grüblerischen Gedanken gerissen.
Der hatte allerdings wirklich Grund, gedrückter Stimmung zu sein.
Ein Mönch mit Liebeskummer! Das war nun albern und tragisch zugleich. Martin sprach seinen Freund nicht darauf an, aber wenn er ihm ins Gesicht sah, war es zu offenkundig. Markus trauerte um Hildegard, die sich im fernen Passau hinter den unüberwindbaren Mauern des Benediktinerinnenklosters Niedernburg für immer verbergen und damit wie aus der Welt scheiden würde. Es war Martin ausgesprochen angenehm, keinen Liebeskummer zu haben. Er nahm sich vor, sich vorerst nicht zu verlieben, und galoppierte zu den schwatzenden, gut gelaunten jungen Männern, die sich alle auf Nikäa und die erste große Schlacht freuten.
Irritierend in dieser übermütigen Aufbruchstimmung war allerdings der Byzantiner Tatikios, ein Verwandter und Vertrauter des Kaisers Alexios, auf den die Heerführer ganz und gar angewiesen waren, weil er die Gebräuche des Landes und den Weg durch Romanien bis nach Antiochia, bis nach Jerusalem kannte. Martin wie allen im Heer war nur zu bewusst, dass sie ihm ausgeliefert waren. Und dabei wirkte dieser Mann so abschreckend, so unheimlich mit seiner abgeschnitten Nase. Dass er statt seiner richtigen einen goldenen Ersatz trug, machte ihn auch nicht vertrauenswürdiger.
Aber auch das Gesicht Peters des Einsiedlers, des Anführers des im Oktober vernichteten Armenkreuzzuges, verhieß Unheil. Wie ein ferner, böser Gott hockte die hässliche Gestalt auf seinem Esel und erwartete die herannahenden Heere. Wenn ihr wüsstet, drohte Peter den heiteren, zuversichtlichen Menschen. Er verachtete sie alle, die jetzt so fröhlich den bevorstehenden Kampf nicht erwarten konnten. Wenn Martin ihn erblickte, fror ihn und Jerusalem rückte in ziemliche Entfernung.
Mit einer eindrucksvollen Geste wies Peter vor sich auf eine weite Ebene.
Sie hatten sein ehemaliges Heerlager bei Civitot erreicht.
Doch nichts, kein Topf, kein Zelt, kein Schmuck, kein Geld, keine Decke, kein Kleid, keine Kinderrassel, deutete darauf hin, dass sich an diesem Ort jemals ein großes Lager befunden hatte. Es war alles geplündert, als Kriegsbeute weggeschafft.
Das Geplauder, das Gespräch aller Ankommenden verstummte.
Alice stieg von ihrem Pferd ab. Tränen würgten in ihrer Kehle.
Was sie vorfanden: Köpfe, Skelette, Knochen, nichts als Köpfe, Knochen und Skelette.
Und wie nun Gottfrieds und Bohemunds und Robert von Flanderns Leute sich um die verödete Stätte scharrten, um in dem Gedränge einen Blick darauf werfen zu können, sahen sie das Gemetzel deutlich vor Augen. Die Krieger Sultan Kilidj Arslans waren auf ihren rasenden Pferden in das unbewachte Lager hineingesprengt. Man sagte von ihnen, sie seien Reiter von Geburt an, sie würden auf ihren Pferden essen, trinken und sogar ihre Notdurft verrichten. Von ihren Pferden herab hatten sie getötet, gemordet. Mit ihren Schwertern hatten sie die Wehrlosen niedergestreckt. Übereinander lagen die Toten, so dicht. Man sah noch, wo die Pilger in Gruppen um eine Feuerstelle herumgehockt haben mochten und mitten in ihren alltäglichen Tätigkeiten überrascht wurden, wo sie in ein Zelt geflüchtet sein mochten oder versucht hatten zu entkommen. Es war, als hörte man ihre Schreie. Kinder, schwangere Frauen, Säuglinge, Kranke, Alte, Priester – und niemand, der sie hätte verteidigen können. Abgeschlachtet wurden sie. Tote über Tote.
Nur der Umstand, Zufall, die Gnade Gottes, dass sie selber sich später auf den Weg ins Heilige Land aufgemacht hatten als diese Unglücklichen hier, hatte sie gerettet. Alice schämte sich und dankte Gott zugleich für ihre Rettung.
Herzog Gottfried von Bouillon hatte als Heerführer der größten Pilgergruppe anderes zu bedenken. Er zog sich mit seinem Bruder Balduin sowie Tankred, der Bohemunds Heer führte, Graf Robert von Flandern, Peter dem Einsiedler und den
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