Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Unmöglich.
Aber hatte sich seine Mutter nicht bisweilen, als Martin noch klein war, auf den weiten Weg zur Burg gemacht, beladen mit Stoffen, die sie der Gräfin präsentieren sollte, damit diese sich daraus Gewänder schneidern ließ? Da könnte Graf Otto die schöne junge Frau gesehen und an ihr Gefallen gefunden haben. Und da wäre er entstanden. Auf der Burg des Grafen? Wohl kaum.
Fest stand: Er war am selben Tag wie Alice geboren. Das hieß doch, dass sie zum selben Zeitpunkt gezeugt worden waren. Möglicherweise war auch Graf Otto geladen und möglicherweise hatte er es nicht verschmäht, sich bei einem Kaufmann fürstlich bedienen zu lassen. Das war es. Seine Mutter hatte dem Grafen aufgewartet, ihm Wein eingeschenkt, sich zu ihm hinuntergebeugt und er hatte ihr Gesicht gefasst und ihr zugeflüstert, sie solle sich in der Nacht bei ihm einstellen. Sie, die immer erzählt hatte, sie habe ihre Ehre für einen Adeligen aufgespart, wäre tatsächlich in der Nacht zu ihm gekommen.
Martin lag stocksteif, wischte sich dann verwirrt über Stirn und Augen.
Warum aber sollte der Graf ihn plötzlich mit so kostbaren Waffen beschenken?
Von Liebe hatte Adhémar gesprochen. Adhémar war wohl durch den Brief und die Kostbarkeit der Rüstung und der Waffen zu der Ansicht gelangt, der fremde Fürst liebe seinen Sohn. Aber lieben tat Graf Otto ihn gewiss nicht, es war nicht einmal sicher, ob er Bernhard liebte, wenn Martin es recht überlegte.
Da gab es diesen Zweikampf, von dem sich ganz Passau erzählte und den Graf Otto befohlen hatte. Ein Ritter aus ärmlichen Verhältnissen hatte Bernhards jüngere Schwester entführen oder sie hatte mit ihm fliehen wollen. Jedenfalls waren sie bei der Flucht entdeckt worden. Graf Otto hatte zur Ehre seiner Tochter einen Zweikampf auf Leben und Tod gefordert, der zwischen Bernhard und dem Ritter ausgetragen werden sollte. Bernhard, so hieß es, habe durch den Helm hindurch den Schädel des jungen Ritters gespalten.
Noch am selben Tag habe die Hochzeit der Schwester mit einem ältlichen Grafen stattgefunden.
Also, ein dermaßen brutaler, machtgieriger Mann sollte seinem natürlichen Sohn so kostbare Waffen durch einen Juden schicken?
Martin fiel wieder die Auflage ein, von der Bischof Adhémar gesprochen hatte:
›Dein Schwert ist an dein Versprechen gebunden:
Du darfst das Schwert niemals gegen wehrlose Menschen gebrauchen, gleich, welchen Glaubens sie sind.‹
Unmöglich, dass Graf Otto die Juden und Muslime schützen wollte.
Nein, er war es nicht und Martin wollte auch nicht, dass Graf Otto sein Vater sei. Sein Körper bis in die Fußspitzen sträubte sich gegen diese Vorstellung.
Blieb nur der andere, derjenige, von dem Martin die ganze Zeit ahnte, dass er es sei, von dem seine Seele hoffte, dass er es sei. Und alles sprach dafür. Martin ließ die Erinnerungen an sich vorübergleiten.
Nein, das konnte nicht die Wahrheit sein. Nicht der Abt. Der war so streng. Er war kalt und gerecht und nicht liebevoll. Vor allem aber…
Vor allem konnte sich Martin nicht vorstellen, dass der Abt und seine Mutter…
Und doch, damals, als Karl Felicitas heiratete, da war der Abt noch kein Fürst, da war er auch kein Mönch. Da wohnte und lebte er mit Martha, seiner Mutter, unter einem Dach.
›Zu den Gräbern dieser beiden Frauen gehe ich nicht‹, hörte Martin den Abt wieder sagen und sah sich und ihn am Eingang des Friedhofs vor der Kirche St. Severin in der Schneenacht stehen.
Die Worte hallten in ihm weiter, sie begleiteten ihn in den Schlaf.
Martin sah eine Gestalt in einem mit rohen großen Steinen behauenen Gemäuer aus einem Fenster blicken. Die Gestalt, der Mann in einer schwarzen Mönchskutte, stand von Martin abgewandt. Er schaute hinaus in eine abendliche Schneelandschaft, die noch von einem Hauch rötlich untergehender Sonne erhellt war, schaute über die Landschaft hinweg in die Ferne. Dann aber kroch das Rot der Sonne immer näher an ihn heran und er erglühte in einem feuerroten Schein. Und wie lichterloh brennend, verwandelten sich seine Kleider und er trug das Festtagskleid, das der Abt Martin für den Kreuzzug geschenkt hatte. Nun aber blickte die Gestalt sich um und es war das Profil des Ritters von Baerheim, dessen Auge Martin angewidert und böse lauernd, hämisch betrachtete. Gleichzeitig hörte Martin seine Stimme ruhig und sachlich kommandieren:
›Schau dem Feind in die Augen und nicht auf sein Schwert. Dein Schild ist dein Schwert. Bewege dich niemals
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