Die Pilgerin
einen jungen Mann. Nie entkleidete sie sich in der Gegenwart der anderen und ihren Hut behielt sie sogar im Schlaf auf. Den Knechten und Mönchen in den Hospizen, die sie unterwegs aufsuchten, und den Herbergswirten mochte dies nicht auffallen, aber jeder, der in ihrer Gesellschaft reiste, musste ihr Geheimnis nach kurzer Zeit aufdecken.
Es war jedoch nicht seine Aufgabe, Starrheim über Tillas wahre Natur aufzuklären. Daher rieb er sich über seinen Bauch, der sich so leer anfühlte, dass er bei der Berührung knurrte, und grinste schief. »Etwas zu essen wäre wirklich nicht schlecht. Zu dumm, dass wir gestern vergessen haben, Vorräte mitzunehmen.«
»Ihr hättet selbst eure Köpfe vergessen, wenn sie nicht angewachsen wären«, schimpfte Tilla.
Starrheim stieß Sebastian feixend in die Rippen. »Unser Hänfling versucht zu beißen! Dafür sollten wir ihm den Hintern versohlen.«
Sebastian war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass eher Starrheim Prügel verdiente und er mit ihm. Tilla hingegen hatte sich prächtig gehalten, obwohl sie noch nie auf einem Pferd geritten war. Er konnte ihr ansehen, welche Schmerzen sie peinigten, während sie sich im Sattel zu halten versuchte. »Du solltest Nachsicht mit Otto zeigen, denn er dürfte ganz wund geritten sein.«
»Ein ganzer Kerl hält das aus!«, antwortete Starrheim und machte damit deutlich, dass er auch an diesem Tag keine Rücksicht auf Tilla zu nehmen gedachte. Da ihn ebenfalls der Hunger zwickte, schwang er sich auf sein Pferd und ließ es antraben.Tillas Stute aber machte nicht die geringsten Anstalten, ihm zu folgen, sondern hielt samt ihrer Reiterin auf einen Grasfleck zu und begann, die Halme abzurupfen. Daher kehrte Starrheim noch einmal um, packte die Zügel des widerspenstigen Tieres und riss heftig daran.
»Willst du wohl gehorchen, du Vieh!«
Die Stute äugte ihn mit schräg gehaltenem Kopf an und blähte die Nüstern. Der Edelmann gab ihr einen Schlag aufs Maul und zog sie dann mit der Wucht seines massigeren Hengstes neben sich her. Die nächsten Stunden wurden für Tilla eine Qual, denn die Stute tat alles, um ihren Unmut über die Behandlung zu äußern, und da sie Starrheims Faust zu fürchten schien, rächte sie sich an ihrer Reiterin, indem sie immer wieder bockte oder sich so eng an Felsen drängte, dass Tillas Beine eingeklemmt wurden. Starrheim ignorierte deren Schwierigkeiten und drängte vorwärts, um endlich einen guten Schluck Wein und einen saftigen Braten zwischen die Zähne zu bekommen.
IV.
Tilla nahm die Verfolger als Erste wahr. Noch während sie einen warnenden Ruf ausstieß, drehte Starrheim sich im Sattel um und schaute zurück. Seine Hand suchte den Schwertknauf, doch er schien nicht sonderlich besorgt zu sein.
»Entkommen können wir nicht, also lasst uns mit den Leuten sprechen.« Er zügelte sein Ross und wartete, bis die Reiter herankamen.
Es handelte sich um zwei Ritter mit einem guten Dutzend Waffenknechten im Gefolge, die in grüne Waffenröcke gehüllt waren und einen blühenden Zweig als Wappen trugen. DieselbeTracht hatten auch Felicia da Lacaunes Begleiter getragen. Tilla begann schon zu hoffen, Freunde der Dame vor sich zu sehen, doch beim Anblick des älteren, wuchtig gebauten Ritters kamen ihr Zweifel. Sein Gesicht war krebsrot vor Zorn, und als er vor ihr anhielt, bleckte er die Zähne wie ein Hund, der gleich zubeißen will.
Tilla senkte den Kopf und hielt den Schleier ihres Häubchens vor das Gesicht, damit er nicht auf Anhieb erkennen konnte, dass er nicht die gesuchte Dame vor sich sah.
»Nun, meine Liebe, auch diesmal konntet Ihr mir nicht entkommen. Doch seid versichert, ein weiteres Mal wird Euch die Flucht nicht gelingen. Eher werde ich Euch in den Kerker stecken, so dass Ratten Euer Gefolge bilden.« Die Stimme des Mannes troff vor Hohn und Zufriedenheit, sein Begleiter aber schüttelte misstrauisch den Kopf.
»Sie soll den Schleier heben, Hugues! Mich überkommt nämlich ein seltsames Gefühl. Die Männer sind nicht die, mit denen Felicia geflohen ist.«
Statt einer Antwort streckte der Hugues genannte Ritter die Hand aus und riss Tilla den Schleier vom Gesicht. Im nächsten Moment stieß er einen zornigen Ruf aus und versetzte ihr einen Hieb, der sie aus dem Sattel fegte.
Tilla hatte weder ihn noch seinen Freund verstanden, begriff aber allzu schmerzhaft, dass die beiden Ritter sich nicht weiter täuschen ließen. Dort, wo der Handschuh des Ritters sie ins Gesicht getroffen hatte,
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