Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
schlechter über den verlorenen Weggefährten auszulassen, denn er hatte in Sepp einen Kameraden gefunden, mit dem er über alles reden konnte, und sah dessen Weggehen als Verrat an. Zudem war der Mann schuld, dass Bruder Carolus sich der Gruppe hatte aufdrängen können, und das würde ihm Sebastian nie verzeihen.
    Tilla hatte unterdessen ihr Bündel von Ambros zurückerhalten und wühlte es kurz durch. Es enthielt noch genau das Gleiche wie zu dem Zeitpunkt, an dem sie es ihm übergeben hatte. Sie nahm die Zinndose mit dem Herzen ihres Vaters heraus, küsste sie und blickte mit leuchtenden Augen zu dem Goldschmied auf. »Hab Dank, Ambros. Ich wusste, auf dich kann ich mich verlassen.«
    Mehr noch als diese Worte schmerzte Sebastian der Ausdruck, der dabei über Tillas Gesicht huschte. So hatte sie ihn noch nie angesehen. Ein bislang unbekanntes Gefühl packte ihn und er hätte Ambros am liebsten niedergeschlagen. Er bezwang sich jedoch und wandte sich Bruder Carolus zu. »Damit eines klar ist: Du kannst schlafen neben wem du willst, aber nicht neben mir!«
    Der Karmeliter nickte bedrückt. »Ich habe Vater Thomas geschworen, den Frieden der Gruppe nicht zu brechen, und werde mich daran halten. Du wirst jedoch nicht verhindern können, dass mein Herz dich liebt.«
    Sebastian brummte ärgerlich, denn auf die Liebe des Mönchs konnte er leichten Herzens verzichten. Viel mehr wäre ihm an Tillas Liebe gelegen, doch wie es aussah, hatte sie für jeden anderen Mann Augen, nur nicht für ihn.

VII.
    Etwa zur selben Zeit presste Hunderte von Meilen entfernt der Bürgermeister Koloman Laux seine Rechte gegen die Brust, um den Schmerz zu betäuben, der darin wühlte. Er nahm den Ratssaal und die versammelten Ratsmitglieder nur noch wie durch einen roten Nebel wahr und vermochte den Ausführungen seines Freundes Matthias Schrimpp kaum mehr zu folgen. Doch war der Mann wirklich noch sein Freund? Das, was Schrimpp eben vorbrachte, war eine gnadenlose Abrechnung mit einer Politik, die die Stadt und ihre Bürger angeblich ins tiefste Elend gestürzt und die allein der Bürgermeister zu verantworten hätte.
    »Meine Freunde«, fuhr Schrimpp mit einem höhnischen Seitenblick auf Laux fort, »wir alle leben vom Handel mit wertvollen Gütern. Dazu brauchen wir sichere Straßen und Nachbarn, mit denen wir in Frieden hausen. Doch wie steht es wirklich um uns, frage ich euch. Verärgerte Nachbarn behindern unseren Handel durch hohe Zölle und unsere Wagenzüge werden überfallen und ausgeraubt! Und warum? Weil unser Bürgermeister sowohl Herzog Stephan von Bayern wie auch das Haus Habsburg gegen sich aufgebracht hat, anstatt – wie es klüger gewesen wäre – sich mit einem von ihnen gegen den anderen zusammenzutun.«
    Das konnte Laux nicht auf sich sitzen lassen. Mühsam stemmte er sich hoch und versuchte, seine trockenen und aufgesprungenen Lippen mit der Zunge zu befeuchten, um besser sprechen zu können.
    »Mit diesen Herren kann man sich nicht zusammentun! Die fordern Unterwerfung! Weder Habsburg noch Wittelsbach würden uns die Rechte lassen, die wir brauchen, um als freie Reichsstadt weiter bestehen zu können. Wollt ihr etwa die Privilegien, die Kaiser Karl IV. uns erst vor zwei Jahrzehnten bestätigt hat, aufs Spiel setzen?«
    »Was nützen uns diese Privilegien, wenn unser Handel zugrunde geht?«, rief einer der anderen Ratsherren dazwischen.
    Früher hätte Laux ihn für diese Frechheit scharf zur Ordnung gerufen, doch jetzt fühlte er sich wie auf einer der schwankenden Zillen, welche die Donau befuhren, und sah weder festen Boden noch ein Ufer vor sich.
    »Wir dürfen unsere Rechte nicht aufgeben«, wiederholte er kraftlos. An ihm nagte nicht nur der Schmerz, sondern auch die Frage, wie es so weit hatte kommen können. Nach Veit Gürtlers Tod war er sicher gewesen, dass die Opposition im Rat, die seine Stellung untergraben wollte, zersprengt war. Doch nun stellte sich heraus, dass sie stattdessen starken Zulauf bekommen hatte. Im Kampf gegen Gürtler war die Mehrheit der Räte noch auf seiner Seite gewesen, doch nun hatte sich der überwiegende Teil des Rates gegen ihn gewandt und nur einige seiner alten Freunde hielten noch zu ihm. Das mochte tatsächlich an den Handelsschikanen liegen, die Herzog Stephan von Bayern gegen die Stadt erlassen hatte, und auch an der Verschlechterung der Beziehungen zur nahen habsburgischen Herrschaft Burgau, für die Laux keine Erklärung fand.
    Tremmlingen hatte sich stets aus dem Streit

Weitere Kostenlose Bücher