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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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In dem Augenblick wurde ihr die Tür aus der Hand gerissen. Sie sah Starrheim noch mit erhobenem Schemel hinter der Tür warten, und im nächsten Augenblick hechtete Sebastian auf sie und zwang sie zu Boden. Erst als er ihr die Kehlezudrücken wollte, erkannte er sie und ließ sie erschrocken los. »Tilla, du?«
    Es klang so verdattert, dass sie lachen musste. »Natürlich ich, du Hammel! Wen hast du sonst erwartet, die Heilige Jungfrau vielleicht?«
    »Aber wie hast du die Kammer verlassen können, in die du eingesperrt warst?«
    Bevor Tilla antworten konnte, mischte sich Starrheim ein. »Wieso nennst du ihn Tilla? Das ist doch ein Frauenname!«
    »Jetzt hast du Trottel mich verraten!« Tilla versetzte Sebastian einen leichten Backenstreich und blickte den jungen Grafen warnend an. »Nehmt Euch nur nichts heraus, weil ich eine Frau und kein Mann bin.«
    Starrheim starrte Tilla an und fragte sich, ob seine Augen ihn narrten. Doch auch als er sie schloss und kurz darauf wieder öffnete, sah sie noch immer wie eine schlanke Frau aus und hatte so gar nichts mehr von Otto an sich.
    Tilla riss ihn aus seiner Verwunderung. »Was das Entkommen betrifft, so hat der Wärter vergessen, meine Tür zu verriegeln, weil ihn einer seiner Herren gerufen hat.«
    Tilla hoffte, die beiden würden sich mit dieser Erklärung zufriedengeben, und sah sich nicht getäuscht. Den Preis, den sie für ihre, Sebastians und Starrheims Freiheit hatte zahlen müssen, würde sie niemandem offenbaren, auch Vater Thomas nicht. Erst in Santiago würde sie es dem Heiligen beichten und sie hoffte, dass er sich ihr gegenüber gnädig erweisen würde. Immerhin war es ihre heiligste Pflicht, das Grab des Apostels zu erreichen und das Herz ihres Vaters in dessen Nähe zu begraben. Dazu musste ihr fast jedes Mittel recht sein.
    Sebastian und Starrheim wollten sofort nach oben und es kostete Tilla Mühe, sie dazu zu bewegen, ihr weiter in die Tiefe zufolgen. Als sie schließlich die unterste Kammer betraten und im Schein der Fackel, die Tilla aus einer der Halterungen gezogen hatte, die offene Pforte entdeckten, starrten die beiden Männer die junge Frau mit großen Augen an.
    »Woher wusstest du davon?«, rief Sebastian aus.
    »Die Heilige Jungfrau hat es mir im Schlaf gezeigt!« Mit diesen Worten stieß Tilla die Tür auf und trat ins Freie.

VI.
    Die Tage, die nun folgten, waren wohl die härtesten ihrer Reise. Starrheim hatte schon vorher kein Geld mehr besessen, Sebastian war von Saltilieus Leuten ausgeplündert worden und Tilla hatte Ambros neben der Zinndose mit dem Herzen ihres Vaters auch ihre Börse anvertraut. Daher besaßen sie keinen einzigen Sou, ja nicht einmal einen lumpigen Denier, mit dem sie sich von einem Bauern einen Brocken Käse hätten kaufen können.
    Trotz der strengen Strafen, die gefassten Dieben drohten, drang Sebastian zweimal in Bauernhäuser ein und stahl neben zwei alten Kitteln, mit denen die Männer ihre Blöße bedecken konnten, Brot, Käse und einmal sogar einen Kessel mit Eintopf, den sie gierig verschlangen. Sebastian war jedoch aufrichtig genug, um den leeren Topf in der Nähe des Anwesens an einen Ast zu hängen, so dass die Leute ihn finden konnten.
    Den Rest ihrer Mahlzeiten bildeten Beeren und Wurzeln, die sie in den Wäldern fanden. Jeder verlor an Gewicht, und obwohl sie sich immer wieder an Bachläufen wuschen, wirkten sie stets schmutzig und sie vermochten sich auch vor Ungeziefer nicht zu schützen, das sich an allen unmöglichen Stellen einnistete.Bei Sebastian war es eine Zecke, die unter seine Bruche gerutscht war und die er erst entdeckte, als sie sich fast vollgesaugt hatte.
    Sein Fluchen ließ die beiden anderen aufhorchen. »Was ist denn los?«, fragte Tilla.
    »Ach, nichts!« Sebastian wollte nicht, dass Tilla erfuhr, was ihm zugestoßen war. Als er jedoch die Zecke abreißen wollte, hatte diese sich so fest in seinen Hodensack verbissen, dass es wehtat. Er gab auf, versuchte es dann aufs Neue und schaffte es wieder nicht.
    »Kannst du mir helfen, Rudolf?« Längst waren alle Standesschranken zwischen den beiden Männern gefallen und sie fühlten sich als gleichwertige Kameraden. Nur Tilla blieb als Frau ein wenig außen vor.
    Starrheim kam zu Sebastian, sah die Bescherung und fing zu lachen an.
    »Ich weiß nicht, was daran so lustig ist«, blaffte Sebastian ihn an. »Hilf mir lieber und reiß das Ding ab.«
    Sein Freund streckte die Hand aus und ergriff die Zecke mit zwei Fingern. Doch als er daran

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