Die Pilgerin
Immerhin befand sie sich auf einer Pilgerfahrt und Vater Thomas hatte als eine der Voraussetzungen dazu Enthaltsamkeit eingefordert. Einmal hatte sie gegen dieses Gebot verstoßen – verstoßen müssen, korrigierte sie sich –, wollte es aber nicht ein zweites Mal tun. Da Ritter Aymer jedoch eine Antwort erwartete, blickte sie ihn an.
»Danke! Auch ich freue mich, Euch wiederzusehen.« Ihr kühler Blick entlarvte diese Worte jedoch als Lüge.
Der Ritter lächelte etwas boshaft, denn er konnte sich denken, welche Gedanken in Tilla wühlten. Kurz überlegte er, ob er sie ein weiteres Mal verführen sollte. Er war sich sicher, dass es ihm gelänge. Doch hinterher würde sie ihn dafür verachten, und zu seiner eigenen Verwunderung lag ihm etwas an ihrerguten Meinung über sich. Außerdem gab es genug zu besprechen. Mit dem Kinn wies er auf seinen Vetter, der eben in eine angeregte Unterhaltung mit dem Grafen von Béarn verstrickt war.
»Hüte dich vor Hugues, meine Liebe. Er ist rachsüchtig und wird dir und deinen Freunden mit Sicherheit nicht vergeben, auch wenn die Situation durch die Windungen der Politik zu seinen Gunsten ausgegangen ist.« Obwohl er leise sprach, um von den anderen nicht gehört zu werden, spürte Tilla hilflosen Zorn in ihm wühlen, aber auch Neid auf seinen Vetter.
»Ich verstehe die Zusammenhänge nicht ganz, mein Herr. Ihr habt doch auf Eurer Burg gesagt, die Dame Felicia wäre Eurem Vetter als Geisel übergeben worden, da der Graf von Foix ein Feind des Königs von Frankreich sein soll. Wie kommt es, dass beide nun so tun, als wären sie die besten Freunde?«
Ritter Aymer lachte kurz auf. »Genau das ist Politik, mein Kind. Die hohen Herren schauen immer darauf, welche Allianz ihnen besser bekommt. Graf Gaston ist ein sehr mächtiger Mann und wird sowohl von König Eduard III. von England wie auch von König Karl von Frankreich umworben. Daher kann er sich aussuchen, mit wem er sich verbünden will. Wie es im Augenblick aussieht, wird es wohl Frankreich sein. Als Franzose begrüße ich das, obwohl mir die Ehe zwischen meinem Vetter und Mademoiselle Felicia, die gleichzeitig ausgehandelt wurde, wenig gefällt.«
Der Blick, den er Hugues de Saltilieu zuwarf, verriet außer Neid noch brennende Eifersucht, doch sein Verwandter schien für solche Gefühlsäußerungen blind zu sein. Aymer hatte sich jedoch rasch wieder in der Gewalt und fuhr fort, Tilla die komplizierte Lage in Südfrankreich und den daran anschließenden spanischen Landen zu beschreiben. »ImAugenblick herrscht Waffenstillstand zwischen England und Frankreich, da beide Könige die Soldaten nicht mehr bezahlen können, die sie für eine Fortsetzung des großen Krieges benötigen. Doch die Kämpfe sind nicht völlig erloschen, sondern haben sich nach Kastilien verlagert. England ist mit König Pedro verbündet und der Prince of Wales hat diesem erst im letzten Jahr geholfen, einen Aufstand Enrique de Trastamaras niederzuwerfen, der ein Halbbruder König Pedros ist. Trastamara wird jedoch von Frankreich unterstützt. Der Heerführer Bertrand du Guesclin hat viele der herrenlos gewordenen Söldnerkompanien in seinen Dienst genommen und wird sie schon bald nach Kastilien führen, so dass Enrique de Trastamara den Kampf um die Krone erneut aufnehmen kann. Mein Vetter und ich werden zu Guesclins Truppen stoßen, sobald wir Béarn verlassen haben.«
»Eine gute Lektion, mein lieber Chevalier Aymer! Ich selbst hätte sie nicht treffender vortragen können.« Gaston von Béarn klatschte mit einem zweideutigen Lächeln in die Hände und machte dem Ritter wie auch Tilla klar, dass es ihm gelungen war, ihnen trotz des Gesprächs mit Hugues de Saltilieu zuzuhören.
Aymers Vetter bleckte die Zähne. »Dir liegt wohl etwas an dieser Metze, was? Nun, vielleicht konnte sie auch deswegen davonlaufen, anstatt im Turm zu verfaulen, wie ich es angeordnet hatte!«
Jeder, der am Tisch saß, sah diese Worte als eine bewusste Provokation an. Und tatsächlich klatschte Aymers Rechte gegen seine linke Hüfte, nur fehlte dort das Schwert, das er wie alle anderen Gäste vor dem Betreten der Halle hatte abgeben müssen. Der Herr von Béarn wusste, dass der Wein die Gemüterder Männer reizte, und wollte, dass es bei Gefechten mit Worten blieb und nicht zu Blutvergießen kam. In diesem Fall war es ihm gelungen.
Ein mahnendes Räuspern brachte die beiden Vettern Saltilieu dazu, sich wieder auf ihre Stühle zu setzen. Obwohl nur Felicia de Lacaune
Weitere Kostenlose Bücher