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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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zwischen ihnen saß und sie sich mit den Händen jederzeit hätten berühren können, bemühten sie sich nun nach Kräften einander zu ignorieren.
    Da mit Blanche und ihren Begleitern späte Gäste erschienen waren, wurde erneut ein Mahl aufgetragen. Starrheim, der von zu Hause eine dicke Scheibe Brot als Tellerersatz gewöhnt war, blickte mit fast ebenso verwunderten Augen auf die glänzenden Fayence-Teller, die vor die Pilger hingestellt wurden, wie der Rest seiner Gefährten. Tilla hatte bisher nur einen einzigen Teller gesehen, der den hier aufgetragenen ähnlich sah. Den hatte ihr Vater von einer Handelsfahrt mitgebracht und wie einen kostbaren Gegenstand behandelt. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen, so etwas Profanes damit zu tun wie darauf zu essen.
    Fast scheu wandte sie sich daher den Speisen zu, die würziger schmeckten, als sie es gewohnt war, und ihr trotz des fremdartigen Aussehens sehr gut mundeten. Aymer, der seinem Vetter auch deswegen den Rücken zukehrte, weil ihn die plumpen Vertraulichkeiten anwiderten, mit denen dieser Felicia bedachte, legte Tilla vor. Wie man mit dem Messer umgeht, musste er ihr jedoch nicht zeigen, denn ihr Vater hatte Wert darauf gelegt, dass sie und Otfried sich guter Tischmanieren befleißigten.
    Einige ihrer Gefährten taten sich weitaus weniger Zwang an. Das reichhaltige Mahl stellte eine willkommene Abwechslung zu den Eintöpfen dar, die ihnen in den Klöstern und Pilgerherbergenaufgetischt worden waren, und auch zu Brot und Käse, die ihnen untertags als Wegzehrung gedient hatten. Selbst Starrheim, der höfische Sitten eigentlich hätte gewöhnt sein müssen, fiel wie ein hungriger Wolf über den innen noch blutigen Rinderbraten her.
    Sebastian lief ebenfalls das Wasser im Mund zusammen und er hätte am liebsten alles Erreichbare in sich hineingeschlungen. Ihm gegenüber saß jedoch Dieter, der nicht aß, sondern fraß. Sein Beispiel wirkte so abschreckend, dass Tillas Jugendfreund sich trotz seines Hungers beherrschte und die Speisen halbwegs manierlich zu sich nahm. Auch bemühte er sich, nicht mit vollem Mund zu sprechen oder zu trinken.
    Tilla, die ihn verstohlen beobachtete, nickte unwillkürlich. Lernfähig war Sebastian schon immer gewesen. Die übrigen Pilger aber lieferten den Gästen des Béarner Grafen genau das Schauspiel, welches diese erwartet hatten. Ein wenig schämte Tilla sich ihrer Landsleute, aber sie mahnte sich, nicht schlecht von ihnen zu denken, denn es handelte sich nun einmal um einfache Leute, die zwar nicht mit einer gezierten Handbewegung das Fleisch schneiden konnten, dafür aber zuverlässige Reisegefährten waren. Auch um ihretwillen wollte sie nicht lange in Orthez verweilen. Sie war sicher, dass man sie bald hinauskomplimentieren würde, denn selbst ein so zufrieden schmatzendes Ferkel wie Hedwig würde den hohen Herrschaften bald langweilig werden.
    Von Tilla unbeobachtet hatte Graf Gaston ein Gespräch mit Blanche begonnen, in dem er ein wenig mit der Kleinen spielte wie ein selbstzufriedener Kater mit einer Maus. »Was soll ich nun mit dir anfangen, ma petite, nachdem der gute Cœurfauchon tot ist und mir die Verantwortung für dich übertragen hat?«
    Blanche senkte verwirrt den Kopf. »Ich weiß es nicht, Monseigneur.«
    »Vielleicht sollte ich dich ebenso verheiraten wie deine Verwandte Felicia. Roi Charles wird mir gewiss einen seiner Barone schicken, den ich mit deiner Hand beglücken kann.« Es klang so, als erwarte der Graf keinen Widerspruch.
    Dennoch hob das Mädchen jetzt den Kopf und blickte ihm mit zitternden Mundwinkeln in die Augen. »Monseigneur, bevor Ihr über mich zu befinden wünscht, muss ich Euch mitteilen, dass ich, als ich in höchster Not war, dem heiligen Jakobus geschworen habe, zu seinem Grab zu pilgern. Diese guten Leute werden mich gewiss in ihre Gemeinschaft aufnehmen und mich mit ihnen ziehen lassen.«
    »Natürlich tun wir das«, erklärte Starrheim, ohne den anderen Pilgern Blanches Wunsch zu übersetzen. »Es ist uns eine große Ehre«, setzte er mit einer Verbeugung dem Mädchen gegenüber hinzu.
    Man konnte Graf Gaston nicht ansehen, ob er seinem Mündel wegen dieser Eigenwilligkeit zürnte oder ihren Entschluss als gegeben hinnahm. Er zuckte mit den Schultern, ließ sich frischen Wein einschenken und trank einen Schluck, bevor er Antwort gab. »Du willst nach Santiago ziehen? Nun, es ist nicht die beste Zeit dafür. In Kastilien herrscht Krieg, und was das bedeutet, hast du auf deiner Reise

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