Die Pilgerin
bereits erlebt. Kein Wanderer und erst recht kein Weib ist vor plündernden Horden sicher. Doch wenn du es trotzdem tun willst, so sei es.«
»Ich will!«
Tilla, die nun auf das Gespräch aufmerksam geworden war und erfahren hatte, um was es ging, lächelte spöttisch, denn Blanches Worte klangen beinahe wie die Willensbekundung bei einer Hochzeit.
Der Graf von Béarn schien ähnlich zu empfinden, auch wenn sein Blick leicht vorwurfsvoll wirkte. »Ich kann dich nicht von dieser Reise abhalten, Blanche. Doch du wirst zu Gott, dem Herrn, beten müssen, dass er dich und deine Begleiter beschützt, denn ich vermag es nicht.«
Blanche senkte kurz den Kopf, warf dann aber Starrheim einen Blick zu, der sowohl Verehrung wie auch Leidenschaft ausdrückte. »Ich bin sicher, Gott wird uns beistehen.«
»Dann hoffen wir, dass er auf ein kleines Mädchen hört.« Gaston von Béarn schien nicht mehr länger bei diesem Thema verweilen zu wollen, denn er begann nun wieder ein Gespräch mit Hugues de Saltilieu.
Als Tilla Blanches trotzig verletzte Miene wahrnahm, musste sie sich ein Lachen verkneifen. Die Bezeichnung kleines Mädchen schien der jungen Dame nicht zu schmecken, denn damit hatte ihr Vormund die tieferen Gefühle abgetan, die sie für Starrheim hegte. Da Graf Rudolf jedoch mit einer jungen Dame verlobt war, konnte Tilla nur hoffen, dass er Blanche auf Abstand hielt. So wie diese im Augenblick aussah, schien sie bereit zu sein, bis zum Äußersten zu gehen, um zu beweisen, dass sie sich als erwachsene Frau fühlte. Tillas Amüsement schwand jedoch, als sie begriff, dass sie und ihre Gefährten die Kleine bis Santiago und hierher zurück am Hals haben würden, und verfluchte ihren Gastgeber, weil er der Göre die Pilgerreise nicht schlichtweg untersagt hatte. Auf Vater Thomas’ Nein konnte sie nicht hoffen, denn dieser wirkte eher so, als hätte der heilige Jakobus ihm ein Geschenk gemacht.
In dem Augenblick erinnerte Tilla sich an den Vorsatz des Pilgerführers, Santiago mit elf Begleitern zu erreichen, und fragte sich, wen er noch anschleppen würde, um den letzten freien Platz in der Gruppe auszufüllen.
V.
Trotz der mangelnden Tischmanieren ihrer Begleiter und der spöttischen Kommentare der Edelleute war es ein Abend geworden, den Tilla nicht hätte missen wollen. Zu später Stunde waren Akrobaten aufgetreten, die sich mit ihren Künsten deutlich von den Hanswursten und Spielleuten abhoben, denen sie einmal im Jahr auf dem Peter-und-Paulsmarkt in Tremmlingen zugesehen hatte. Auch die Nachspeise, ein ganz ungewohnter Kuchen, hatte ausgezeichnet geschmeckt. Hedwig und Dieter, die mit einem schlichteren Gemüt ausgestattet waren als Tilla, grinsten sichtlich zufrieden, und sie selbst vernahm noch im Traum die schmeichelnden Klänge der Musik und summte die fremdländischen Lieder mit.
Man hatte der Gruppe einen Raum zum Schlafen zugeteilt, in dem für jeden eine Matratze bereitlag, und sie hatten sich wie gewohnt niedergelegt – rechts die Männer und links die Frauen. Obwohl viel an diesem Tag auf sie eingestürmt war, schliefen die meisten rasch ein. Sebastian aber fühlte sich trotz des genossenen Weines hellwach und kämpfte gegen den Drang an, sich als Mann erweisen zu wollen. Sein Blick suchte Tilla, doch in der Dunkelheit, die von der winzigen Flamme in einer Laterne ein wenig erhellt wurde, nahm er nur einen Schatten wahr. Für einige Augenblicke überlegte er, ob er die Kammer verlassen sollte, um nach der Bademagd zu suchen. Es erschien ihm jedoch nicht geraten, durch die finsteren Gänge der Burg zu schleichen, zumal er nicht die geringste Ahnung hatte, wo das Mädchen zu finden war.
Mühsam rang er seinen Trieb nieder und fiel in einen von wilden Träumen geplagten Schlaf, in denen ihm sowohl sämtliche Bademägde wie auch Tilla selbst zu mannhaften Taten aufforderten.Als er am nächsten Morgen erwachte, fühlte sein Oberschenkel sich klebrig an und er kam sich beschmutzt vor. Vorsichtig, damit die anderen es nicht merkten, säuberte er sich und schlüpfte in seine Kleider.
»Was machen wir heute?«, fragte er in dem Bemühen, besonders munter zu klingen.
»Wir werden wohl weiterziehen«, antwortete Tilla.
Vater Thomas, der eben in seine Kutte schlüpfte, schüttelte den Kopf. »Ich möchte noch ein paar Tage bleiben, damit wir für den letzten Teil der Reise Kraft schöpfen können. Außerdem muss Blanche sich ausrüsten.«
»Mir habt Ihr dafür weniger als eine Stunde Zeit gelassen.« Tilla
Weitere Kostenlose Bücher