Die Pilgerin
sich wie eine schwarze Wand vor ihm auf.
In der Nacht schlief er schlecht und wachte erst auf, als die anderen Knechte ihre gemeinsame Unterkunft bereits verlassen hatten. Durch ein Fenster ein paar Stockwerke weiter oben beobachtete er, wie seine Pilgerfreunde sich auf den Weg machten. Sein Blick blieb auf der jungen Frau haften, in der er Otto erkannt hatte, und als er sie in Frauenkleidern sah, fragte er sich, wie er sie auch nur einen einzigen Tag lang, geschweige denn die vielen Wochen ihrer gemeinsamen Pilgerfahrt für einen Mann hatte halten können. Sie war keine Schönheit wie Felicia de Lacaune, aber auf ihre Weise durchaus hübsch und anziehend.
Wenn Hugues de Saltilieu der Gruppe folgte und sie gefangen nahm, würde er ihr ebenso Gewalt antun wie den Zwillingsschwestern, die auf der langen Reise sichtlich aufgeblüht waren und nun wie lebendige Menschen und nicht mehr wie ängstlich aneinander gedrängte Schatten wirkten. Selbst Hedwig sah noch attraktiv genug aus, um Saltilieus Begleitern als Opfer dienen zu können. Wahrscheinlich würden die Männer auch das junge Mädchen nicht verschonen, das sich der Gruppe angeschlossen hatte. Es stand zwar erst an der Schwelle zur Weiblichkeit, doch brutale Gemüter wie Saltilieu mochten sich gerade davon angezogen fühlen.
Während Sepp den Tag mit Grübeln verbrachte, steigerte er sich immer mehr in das Gefühl hinein, dass er eine gute Tatvollbringen würde, wenn er seine Gefährten vor Saltilieu bewahrte. Die leisen Mahnungen seines Gewissens schwanden mehr und mehr, und als er am späten Nachmittag das eingewickelte Schwert aus dem Stroh holte, vermochte er sogar über einen fast unverständlichen Witz zu lachen, den ein Knecht von sich gab, der sich verletzt hatte und in die Unterkunft geschickt worden war.
IX.
Sepp war klar, dass er im offenen Kampf keine Chance gegen einen ausgebildeten Krieger wie Saltilieu hatte. Also musste er ihn an einer Stelle überraschen, die einen Hinterhalt erlaubte und an der er die Tat ohne Zeugen vollbringen konnte. Ihm fiel nur ein Ort ein, auf den diese Umstände passten und den Saltilieu mit Sicherheit aufsuchen würde. Daher ging er hinüber zu der vom Wind abgewandten Seite der Burg und betrat das Gebäude, welches den Abtritt beherbergte. Dort suchte er sich eine dunkle Ecke, legte sich hin, und tat so, als wäre er ein Zecher, der dem Wein zum Opfer gefallen war, nachdem er sich erleichtert hatte.
Im Lauf des Tages benutzten etliche Leute den Abtritt, darunter auch Felicia de Lacaune, die nicht wusste, was sie von der Situation halten sollte. Bis jetzt hatte der Attentäter, den sie auf ihren Verlobten angesetzt hatte, sich still verhalten, und sie fürchtete bereits, er hätte der Feigheit zollend das Weite gesucht.
Während sie ihre Röcke schürzte und ihr Wasser rinnen ließ, betrachtete Sepp sie aus seinem Winkel heraus mit brennenden Augen. Einige Augenblicke lang verspürte er die Lust, sie zu packen und zu benutzen, wie er es am Tag zuvor getan hatte. Erverwarf den Gedanken jedoch sofort wieder, denn zum einen war er nicht in der richtigen Stimmung und zum anderen war auch die verführerischste Frau der Welt das Risiko nicht wert, welches er mit einer solchen Tat eingehen würde.
Er wartete daher, bis Felicia wieder gegangen war, und wurde kurz danach belohnt, als Hugues de Saltilieu heranstampfte. Ein zweiter Mann begleitete ihn und daher drückte Sepp sich in seine Ecke, um nicht gesehen zu werden. Saltilieus Begleiter stellte sich neben eine der schießschartenähnlichen Öffnungen und urinierte in die Dunkelheit hinaus, während der Baron selbst seine Hosen auszog und sich mit einem ächzenden Ton auf einen der Sitze mit dem Loch in der Mitte hockte.
Er brauchte länger als sein Begleiter, dem es bald zu langweilig wurde. Mit einem Scherzwort, das wohl Saltilieus Verdauung galt, verabschiedete der Edelmann sich und eilte hinaus.
Für einige Augenblicke blieben Sepp und der Baron allein zurück. Jetzt oder nie, durchfuhr es den Deutschen. Er packte das Schwert mit schweißnassen Fingern und spürte, dass er es so nicht fest genug halten konnte. Hastig rieb er seine Rechte am Hosenboden trocken, damit ihm die Waffe nicht beim Hieb entglitt. Dann hob er den Kopf und hielt nach Saltilieu Ausschau. Die einzelnen Sitze des Abtritts waren nicht voneinander getrennt und es gab auch keine Türen. Da keine Lampe in dem Raum brannte, war es inzwischen so dunkel geworden, dass man nur noch am Eingang etwas
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