Die Pilgerin
einzunehmen, kamen einige mit ebenfalls guten Nachrichten zurück. Die Wachen an den anderen Toren und die Söldner, die es sich auf Kosten der Wirte gut hatten ergehen lassen, hatten den Lärm des Aufruhrs zwar noch vernommen, waren aber überwältigt worden, bevor sie die Waffen hatten ziehenkönnen. Nun streiften die Bürger wie eine Meute beißwütiger Hunde durch die Gassen in der Stadt und töteten jeden, der die bayrischen Farben trug oder die Tracht eines Büttels. Wer von den nun Gejagten rechtzeitig begriff, was sich abspielte, warf seine Waffen und die Abzeichen seines Amtes fort und versteckte sich bei Freunden. Bald gab es nur noch zwei Stellen, an denen die früheren Herren ungeschoren blieben. Das waren Otfrieds Haus und das Laux-Anwesen, welches nach Meister Nodlers Worten auch dem Herrn von Kadelburg als Amtshaus und Wohnung diente. Dort rotteten die Bürger sich zusammen, die auf die Köpfe ihrer Besatzer aus waren, um sich an diesen zu rächen.
Sebastian hatte Mühe, die Leute davon abzubringen, sein Elternhaus samt den Söldnern, die sich darin verschanzt hatten, anzuzünden. »Wollt ihr, dass die ganze Stadt in Flammen aufgeht?«, schrie er einen Mann an, der sich mit einer Fackel und einem Ballen Werg durch die Menge drängte.
»Die Kerle sollen brennen!«, brüllte der wie von Sinnen. »Zwölf von ihnen haben meine Tochter geschändet. Einer nach dem andern!«
Obwohl Sebastian den Mann verstehen konnte, entriss er ihm die Fackel und warf sie in ein Fass, das mit Regenwasser gefüllt war. »Verdammt, Kerle! Wollt ihr eure Stadt in Brand setzen oder endlich wieder Frieden und Ordnung haben?«
Der Schneider nickte. »Sebastian – ich wollte sagen, Herr Laux hat Recht! Wenn die Situation jetzt außer Kontrolle gerät, wird es für uns alle schlimm enden. Wir sollten ihm gehorchen, denn immerhin ist er der Sohn des wahren Bürgermeisters, und wenn man es genau nimmt, auch der Hauptmann der Bürgerwehr.« »Das stimmt!« Einer der früheren Knechte des alten Bürgermeisters, der Sebastian zu den Übungen der Bürgerwehr mitgenommenund dort auch ausgebildet hatte, trat auf ihn zu und neigte kurz den Kopf.
»Du bist unser Hauptmann, Sebastian! Du musst uns sagen, was wir tun sollen.«
»Sammle so viele der Unsrigen, wie du findest. Und Ihr, Freund Starrheim, solltet Euch mit Euren Männern ein wenig im Hintergrund halten und nur eingreifen, wenn es nicht anders mehr geht. Die Bayern sollen glauben, gerechter Bürgerzorn sei über sie gekommen.«
Starrheim nickte erleichtert, denn diese Entscheidung kam der politischen Situation entgegen. Während er seine Befehle gab, betrachtete Sebastian das geschlossene Tor seines Vaterhauses und überlegte, was er als Nächstes tun sollte.
Tilla und Hedwig waren zunächst weit hinter den anderen zurückgeblieben. Jetzt näherten sie sich Laux’ Haus und wollten zu Sebastian. Da Tillas Schleier verrutscht war, konnten die Leute ihr Gesicht sehen. Mehrere erstarrten, als sie sie erkannten.
»Bei allen Höllenteufeln, das ist doch die Schwester dieses Blutsaugers Otfried! Packt sie, damit wir ihr heimzahlen können, was dieser Schuft uns angetan hat.« Der Mann, dem Sebastian die Fackel abgenommen hatte, streckte die Hände nach Tilla aus. Sein Gesicht war vor Hass verzerrt und er schrie sie an, dass er sie als Erstes vergewaltigen und dann seinen Freunden überlassen würde, damit sie am eigenen Leib erleben konnte, was mit seiner Tochter geschehen war.
Tilla erstarrte im ersten Augenblick, dann aber stieß sie den Mann mit dem Fuß zurück und fauchte wie eine wütende Katze: »Wage es nicht, mich anzurühren!«
Sebastian erkannte, dass Tilla in Schwierigkeiten war, fand sich aber durch die ganze Breite des Platzes von ihr getrennt. Erwollte schon Starrheim zurufen, er solle Tilla mit seinen Leuten schützen.
Da trat Elsa Heisler mit vor Zorn rot angelaufenem Gesicht zwischen den Mann und ihre junge Freundin. »Verdammter Kerl, willst du wohl Tilla in Frieden lassen! Sie war doch das erste Opfer dieses verfluchten Otfrieds. Oder hast du vergessen, dass sie aus der Stadt fliehen musste, um seinen infamen Plänen zu entgehen? Sie ist bis nach Santiago gepilgert, um den letzten Willen ihres Vaters zu erfüllen, den ihr Bruder völlig missachtet hat.«
Der Mann wurde unsicher und sah sich um, ob er mit der Unterstützung der Umstehenden rechnen konnte. Die kurze Zeitspanne hatte Sebastian gereicht, sich ein Stück durch die Menge zu drängen. »Außerdem
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