Die Pilgerin
behauptet. Er schwenkte jedoch rasch auf ein anderes Thema um. »Deine Schwester hat sich schon wieder in die Büsche geschlagen!«
Otfried hob mit einer hilflosen Geste die Hände. »Ich kann sie doch nicht festbinden!«
»Werde nicht gleich patzig, mein Guter! Oder hast du vergessen, was wir abgemacht haben?« Gürtlers Stimme hatte mit einem Mal jeglichen verbindlichen Tonfall verloren. Er stemmtesich mit beiden Händen auf den Tisch und bohrte seinen Blick in Otfrieds Augen. »Ich mag es nicht, wenn man mich zum Narren hält! Deine Schwester versucht es, doch bei mir beißt sie auf Granit. Bisher habe ich sie umworben, wie ein Bräutigam es mit seiner erwählten Braut macht, doch mit dem Theater ist jetzt Schluss. Ich werde Nägel mit Köpfen machen!«
Otfried schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich verstehe nicht recht …«
»Du wirst mich gleich verstehen. Ich will, dass die Ehe mit deiner Schwester heute noch geschlossen wird. Das ist mein gutes Recht, denn schließlich hast du deine Unterschrift unter den Ehevertrag gesetzt.« Zur Bekräftigung seiner Worte klopfte Gürtler auf den Tisch.
Tillas Bruder zuckte bei dem Geräusch zusammen, schüttelte aber den Kopf. »Das ist unmöglich! Vater ist doch erst vor drei Wochen beerdigt worden, und Tilla muss die Trauerzeit einhalten.«
»Du glaubst doch nicht, dass ich ein ganzes Jahr auf diese Heirat warte. Sie wird heute noch stattfinden! Hast du mich verstanden?«
Otfried sah ihn mit dem Blick eines getretenen Hundes an. »Da wird Vater Eusebius nicht mitmachen. Du weißt, wie streng er darauf hält, dass die Riten und Regeln unserer heiligen Kirche eingehalten werden.«
Gürtler winkte nur verächtlich ab. »Diesen Pfaffen brauchen wir nicht. Ein angeheirateter Verwandter meiner ältesten Schwes ter ist gestern bei uns eingetroffen. Er ist der Pfarrherr von Sankt Wendelin zu Ammershausen und hat sich bereit erklärt, den Trausegen zu spenden. Deswegen bin ich hier. Oder hast du es dir vielleicht anders überlegt und willst dich doch mit Laux versippen?«
»Natürlich nicht! Es kommt nur alles so schnell. Wenn du Tilla heiratest, wirst du wohl auch ihre Mitgift haben wollen.« Otfried kniff ärgerlich die Lippen zusammen. Es fiel ihm schwer genug, die Fäden des väterlichen Handelshauses in den Händen zu behalten, und da störte ihn der Abfluss einer nicht unbeträchtlichen Summe.
Gürtler begriff, dass er seinem Gegenüber wenigstens den kleinen Finger reichen musste. »Einen Teil gewiss, aber über den Rest können wir reden.«
Otfrieds Augen leuchteten auf. »Ich habe eine Idee! Wie wäre es, wenn wir uns noch enger verbinden würden als nur durch die Heirat meiner Schwester mit dir? Ich könnte zum Beispiel eine deiner Nichten zur Frau nehmen und deren Mitgift mit der Tillas verrechnen.«
Dem jungen Mann gelang es, sein Gegenüber so zu verblüffen, dass diesem die Sprache wegblieb. Das war Gürtler schon lange nicht mehr passiert. Er musterte den jungen Willinger unter hängenden Augenlidern, als wolle er sich darüber klar werden, was er wirklich von ihm zu halten hatte. In einem Augenblick wirkte Otfried wie ein unsicheres Bürschchen, im nächsten aber schien er so ausgekocht zu sein wie ein Ratsherr mit dreißig Jahren Erfahrung. Dann begriff Gürtler, dass dieses Angebot auch für ihn von Vorteil war. Eine so enge Verbindung zwischen den beiden Handelshäusern würde den anderen Ratsherren zeigen, wie nahe er und der junge Willinger sich standen. Diese Konzentration wirtschaftlicher Macht würde einige noch schwankende Gemüter im Rat dazu bringen, sich offen auf seine Seite zu schlagen. Dann geriet Laux in die Defensive und würde bald erledigt sein.
»Das wäre ins Auge zu fassen«, begann er vorsichtig. »Allerdings ist meine älteste Nichte gerade vierzehn Jahre alt geworden,und in unseren Kreisen heiraten die Mädchen nicht so früh. Das könnte Gerede geben.«
Otfried erinnerte sich an den Vertrag, den Gürtler mit dem bayrischen Höfling Georg von Kadelburg geschlossen hatte, und lachte leise auf. »In welchen Kreisen? In jenen, zu denen wir jetzt noch zählen? Das ist bald Vergangenheit! Mädchen aus dem Adel kommen früh unter die Haube, das weißt du genauso gut wie ich, mein Freund.«
Für einen Augenblick begann Gürtler an seiner Fähigkeit zu zweifeln, Otfried auf Dauer lenken zu können, schob diesen Gedanken jedoch rasch wieder beiseite. Immerhin würde der Herr des Hauses Willinger durch diese beiden Heiraten wie mit
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