Die Pilgerin
bestehlen, Räuber sie überfallen und ermorden, und vielleicht tun die Kerle ihr vorher noch all jene Dinge an, die solches Gelichter mit weiblichen Gefangenen so treibt.«
Sebastian schüttelte es bei seinen eigenen Worten. Er hatte Tillaniemals als Frau angesehen, sondern mehr wie eine kleine Schwester, und daher konnte er sich nicht vorstellen, sich mit ihr zwischen den Decken zu wälzen. Außerdem war sie nicht die Art Frau, die ihn anzog. Andere Männer aber mochten sie als leichte Beute ansehen und ihr Gewalt antun. Ihm kamen fast die Tränen, als er sich vorstellte, was seiner kleinen Freundin unterwegs alles zustoßen konnte. Für Augenblicke sah er Tilla so vor sich, wie sie vor sieben, acht Jahren gewesen war: ein umtriebiges Ding, das mit seinem Mut die meisten Jungen in der Stadt beschämt hatte. In der Zwischenzeit hatte sie sich jedoch in eine graue Maus verwandelt, für die sich kein Bursche interessierte. Daran mochte die lange, schwere Krankheit ihres Vaters schuld sein, den sie aufopfernd gepflegt hatte.
»Das dumme Huhn ist doch noch nie aus seiner Vaterstadt herausgekommen. Wie will es da bis nach Santiago gelangen?« Noch während er es sagte, wusste Sebastian, dass er am nächsten Tag nicht nach Kadelburg weiterziehen würde. Der Gedanke, Tilla würde zu Schaden kommen, weil er nicht bei ihr war und sie beschützen konnte, bereitete ihm Gewissensqualen, und zum ersten Mal verstand er, welche Verantwortung sein Vater ihm aufgeladen hatte.
V.
Während Sebastian aus Sorge um Tilla darauf verzichtete, die Heimstatt des bayerischen Edelmanns Georg von Kadelburg aufzusuchen, zog es Otfried Willinger mit aller Macht dorthin. Er hatte seine nächsten Schritte immer wieder gründlich durchdacht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass er bei Gürtlers Mitverschworenen mehr vorweisen musste als nur den Willen,ihr Anführer zu werden. Ein Mann wie Schrimpp würde gewiss eigene Ansprüche anmelden, und es war möglich, dass die übrigen Mitglieder der Gruppe ihm den Vorzug gaben, weil er ein langjähriges Mitglied des Rates war und offiziell noch als Laux’ Freund galt. Dann würde er die geheimen Papiere von ihm fordern, die Tilla gestohlen hatte.
Eine Verschwörung war keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen durfte, zumal sie einem den Kopf kosten konnte. Aus diesem Grund hatte Otfried sich entschlossen, mit dem bayerischen Emissär zu reden und sich ihm als neuer Arm seines Herzogs in der Stadt Tremmlingen anzudienen. Die erste Gelegenheit für ein Zusammentreffen mit ihm wäre kurz nach Gürtlers Tod gewesen, aber das hatte er versäumt und der Bayer war unverrichteter Dinge wieder heimgekehrt. Nun fand Otfried es an der Zeit, mit ihm zu reden.
Von Tremmlingen bis zur Kadelburg benötigte selbst ein geübter Reiter mehrere Stunden. Otfried aber hatte Pferde bislang nur vor den Wagen spannen lassen und dem Knecht beim Kutschieren zugesehen. Als er nun selbst im Sattel saß, versetzte ihn jede raschere Gangart seines Reittiers in Panik. Daher kehrte er unterwegs ein und hielt sich länger bei einem guten Schluck Wein und einem saftigen Braten auf, als es nötig gewesen wäre. Auch hemmte die Angst vor dem, was ihn auf der Kadelburg erwarten mochte, seinen Vorwärtsdrang.
Doch als er am späten Nachmittag der Türme des Herrensitzes ansichtig wurde, waren alle Bedenken vergessen und er empfand jene durch nichts zu erschütternde Beharrlichkeit, die bereits seinen Vater zu einem der reichsten Männer dieser Gegend hatte werden lassen.
Als er in die Burg einritt, trat ihm ein Knecht in braunen Lederhosen und einem hellen Leinenhemd entgegen. »Ihr wünscht?«,fragte der Mann nicht sonderlich höflich. Die für einen Ritt ungeeignete Kleidung und die mit Kaninchenfell gesäumte Mütze des Besuchers hatten ihm verraten, dass er es mit einem Pfeffersack zu tun hatte.
Otfried stieg ächzend aus dem Sattel und stöhnte, als der Stoff seiner Beinkleider an seinen wund gerittenen Schenkeln rieb. Dann aber erschien der berechnende Ausdruck auf seinem Gesicht, den seine Geschäftspartner schon bei dem alten Willinger zu fürchten gelernt hatten. »Ich bringe wichtige Botschaft für den Herrn von Kadelburg!«
Der Knecht zuckte bei dem dominanten Ton zusammen. Das war kein Mann, der sich mit dem Kastellan oder dessen Stellvertreter abspeisen ließ. Wenn die Botschaft wirklich so wichtig war, so musste die Ankunft des Mannes dem Herrn gemeldet werden. »Wenn Ihr mir Euer Pferd übergeben wollt!
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