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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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wenig gefielen. Da der Mönch mit seiner Hartnäckigkeit auch Sebastians Seele gefährdet hätte, ließ Vater Thomas den jungen Mann hinter seiner Gruppe herziehen und war bereit, jederzeit einzuschreiten, wenn Bruder Carolus ihnen wider Erwarten folgen sollte.
    Tilla gefiel es wenig, Sebastian so nahe zu wissen, denn sie hatte Angst, er könnte mit einer seiner dummen Bemerkungen ihr wahres Geschlecht aufdecken. Vater Thomas und Hedwig wussten ja, dass sie eine Frau war, und Ambros schien es zu ahnen, doch den dreien glaubte sie vertrauen zu können. Bei Anna und Renata sowie den übrigen Männern hatte sie jedoch ihre Zweifel. Hermann und Robert würden ihr gewiss üble Streiche spielen und sie vielleicht sogar in einem Kloster als bockige Sünderin anzeigen, nur um des Spaßes willen, bei ihrer Bestrafung zusehen zu können.
    Eigentlich wäre Hermann an diesem Tag wieder mit dem Tragen des Kreuzes an der Reihe gewesen, doch er hatte sich dieser Pflicht wegen angeblicher Schmerzen im Rücken entzogen. Tilla war sich sicher, dass ihm überhaupt nichts wehtat, denn wenn keiner der anderen zu ihm hinsah, hielt er sich gerade, und statt zu beten pfiff er von Zeit zu Zeit fröhlich vor sich hin. An seiner statt hatte Robert das Kreuz nehmen müssen, doch der humpelte schon bald zum Gotterbarmen. Schließlich nahm der etwas einfältige Manfred ihm das schwere Holzkreuz ab.
    »Das ist brav von dir, Manfred«, hörte Tilla Robert sagen. »Weißt du, mich ärgert es furchtbar, dass meine Kraft mich verlässt, denn je länger einer das Kreuz trägt, umso mehr ruht der Segen des heiligen Apostels auf ihm.«
    »Wirklich?« Manfred sah im Augenblick so aus, als wolle er das Kreuz bis nach Santiago tragen.
    Hermann pflichtete seinem Freund sofort bei und erklärte, dass er selbst das Kreuz tragen wolle, wenn Manfred an der Reihe wäre, um sich den Segen des heiligen Jakobus zu sichern.
    Manfred hob das schwere Kreuz, als wären es nur zwei zusammengeheftete Späne, und funkelte den anderen warnend an. »Wenn ich an der Reihe bin, trägst du gar nichts, verstanden!«
    Hermann wich mit dem gespielten Ausdruck des Erschreckens vor ihm zurück. »Ich will dir doch nichts Böses tun, Manfred, sondern nur meinen Teil leisten.«
    »Aber nicht auf meine Kosten! Ich brauche den Segen des heiligen Jakobus nicht weniger als ihr!« Manfred drehte Hermann den Rücken zu und wanderte los.
    Tilla erwartete, dass Vater Thomas eingreifen und die beiden Simulanten tadeln würde. Doch dieser stimmte nur ein neues Gebet an und blickte mit entrücktem Ausdruck gen Himmel, an dem eine Wolke die Form eines Frauenkopfs mit lang fallendem Kopftuch angenommen hatte.
    »Die Himmelsmutter gibt uns ihren Segen!«, rief Hedwig und bekreuzigte sich.
    Auch die anderen bewunderten das Schauspiel über ihnen, das sich nur langsam auflöste. Anna und Renata waren von dem Anblick so ergriffen, dass sie gut hundert Schritte kniend zurücklegten und dabei den Anschluss an den Rest der Gruppe verloren.
    Ihre Inbrunst brachte Sebastian in Gewissenskonflikte. Wenn er sich an die Regel hielt, sich sechs Dutzend Schritte hinter den Schwestern zu halten, verlor er die Spitze der Gruppe aus den Augen, maß er jedoch den Abstand zu Vater Thomas, würdeer die beiden Frauen bald überholen. So entschloss er sich für einen Mittelweg und ging dicht hinter den Schwestern her.
    Die Pilger wanderten nun durch ein hügeliges Land, hinter dem sich im Osten und im Süden Berge gen Himmel erhoben und mit ihren weißen Kappen einem schier unüberwindlichen Riegel aus Stein und Eis glichen. Mehr als einmal schien ihr Weg genau auf die Barriere zuzuführen, doch die Entfernung war viel zu groß, den machtvoll aufstrebenden Pilatus oder einen der anderen großen Berge an einem Tag erreichen zu können. Nach einer Weile bemerkte Tilla, dass der Pfad, dem sie folgten, wieder mehr nach Westen abbog. Laut Vater Thomas würden sie bald einen großen See erreichen, dessen östlicher Teil von hohen Bergen umgeben war. Ihr Weg würde sie jedoch am westlichen Ufer entlangführen, bis sie die Stadt Luzern erreichten, eine jener berüchtigten Waldstätten, die sich gegen ihre von Gott eingesetzten Herren aus der Sippe der Habsburger erhoben und diese in mehreren Schlachten besiegt hatten.
    Tilla wusste nicht so recht, was sie von den Habsburgern zu halten hatte, denn als Markgrafen von Burgau reichte ihr Arm fast bis nach Tremmlingen und sie waren im Sammeln von Ländern noch erfolgreicher als die

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