Die Pilgerin
Sippe der Wittelsbacher, die ihre Kraft in etlichen Erbteilungen und den daraus entstandenen Fehden verbraucht hatten.
Auch Sebastian wusste, dass sie sich Gegenden näherten, in denen die Fürstenmacht durch Bauern- und Bürgerhaufen zunichte gemacht worden war. Anders als Tilla empfand er Bewunderung für die Eidgenossen, die sich weder beugen noch knechten lassen wollten. Für ihn waren sie ein Vorbild, dem seine Heimatstadt mit aller Macht nacheifern sollte. Über der freien Reichsstadt Tremmlingen stand nur der Kaiser, und so sollte es bleiben, mochte der Bayer auch noch so keifen.
Sebastians Überlegungen wurden abrupt beendet, als Hufgetrappel hinter ihm aufklang und rasch lauter wurde. Gewitzt durch das Erlebnis mit Böhdinger und Schrimpp drehte er sich rechtzeitig um und hielt Ausschau. Zwei Ritter in blitzenden Rüstungen und hellen Wappenröcken bildeten die Spitze einer sechsköpfigen Reitergruppe. Auf dem Schild des einen war über drei stilisierten Falken der rotweißrote Balken zu sehen, der seine Abkunft von einer Habsburgerin anzeigte, während der andere Ritter sich mit einem schwarz und silbern gespaltenen Schild zufrieden gab. Die beiden Edelleute und ihre Reisigen trabten so nahe an Sebastian vorbei, dass dieser sich wieder einmal mit einem Sprung in Sicherheit bringen musste, um nicht über den Haufen geritten zu werden.
Die beiden Ritter und ihr Gefolge lachten schallend, weil sie ihn in ein nasses Wiesenstück gejagt hatten, und näherten sich ebenso übermütig den beiden auf Knien rutschenden Schwestern.
»Macht Platz für den Grafen Starrheim!«, rief einer der Waffenknechte, die mit Kettenhemden und ledernen Reithosen bekleidet waren.
Anna und Renate drehten sich um und entdeckten jetzt erst die Reiter, die auf sie zuhielten. Anstatt auszuweichen, klammerten sie sich mitten auf dem Weg aneinander und flehten die Himmelsjungfrau an, ihnen beizustehen.
Starrheim, der Spross der Habsburgerin, und sein ritterlicher Gefährte lenkten ihre Rosse an den beiden zitternden Frauen vorbei, ohne diese zu berühren. Ihr Gefolge nahm jedoch weniger Rücksicht und das Pferd eines der Waffenknechte traf Annas Schulter und stieß sie zur Seite. Die Frau schrie vor Schmerzen auf und stürzte zusammen mit ihrer Schwester einen kleinen Abhang hinab, der an dieser Stelle die Straße säumte.
»Geschieht euch recht, ihr Schnepfen!«, lachte der Mann und gab seinem Pferd die Sporen, um den Scherz bei dem Rest der Gruppe erneut zu versuchen. Den meisten Pilgern gelang es, die Straße rechtzeitig zu verlassen. Nur Manfred, der durch das schwere Kreuz behindert wurde, konnte nicht mehr früh genug ausweichen. Daher wurde auch er von der Brust des Streitrosses getroffen, stürzte und rutschte samt dem Kreuz wohl eine Manneslänge in die Tiefe. Zum Glück konnte er sofort wieder aufstehen.
»Elender Lump! Dich soll der Blitz treffen«, schrie er außer sich vor Wut dem Reiter nach.
Der Waffenknecht zügelte sein Ross und langte zum Schwert. »Dir ist wohl nach einer Abreibung zumute, Bürschchen, was?«
»Komm jetzt, Gero! Lass die Leute in Ruhe.« Starrheims Ruf kam gerade noch rechtzeitig, um den Mann daran zu hindern, sein Schwert zu ziehen und auf Manfred loszugehen. Widerwillig stieß der Mann seine Klinge in die Scheide und ritt seinem Herrn nach, während er Manfred und den Rest der Pilgergruppe mit wüsten Flüchen bedachte.
»Was für ein schrecklicher Mensch!« Hedwig schüttelte sich und eilte dann zu Renata und Anna, um ihnen zu helfen. Sebastian war bereits bei den Schwestern, traute sich aber nicht, sie zu berühren, da beide hilflos vor sich hin schluchzten und vor Schmerzen wimmerten.
»Hilf ihnen hoch!«, herrschte Hedwig den jungen Mann an. Sie selbst rupfte ein Büschel Gras und begann Renatas vom Lehm beschmutztes Gesicht zu säubern. Während Sebastian ihrer Schwester aufhalf, griff Anna sich an die Schulter und stöhnte. »Hoffentlich ist das Schlüsselbein nicht gebrochen.« Hedwig graute bei der Vorstellung.
Die Verletzte riss entsetzt die Augen auf. »Um Gottes willen, nein! Aber meine Schwester und ich werden auch dann den Weg zum Grabe des Apostels fortsetzen.« Es klang so bestimmt, dass keiner zu widersprechen wagte.
Hedwig untersuchte Annas Schulter und stellte fest, dass diese zwar schlimm geprellt, aber zum Glück nicht gebrochen war. »Wir werden im nächsten Kloster den Bruder Apotheker um Salbe für dich bitten und dir einen Verband anlegen. Bis dorthin mag es
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