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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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leidenschaftlich für den Bau von Bahnhöfen entbrannt sind.«
    »Wenn es Menschen gibt, die Streichquartette komponieren, muss es auch welche geben, die Salat und Tomaten kultivieren. Und welche, die Bahnhöfe konstruieren«, sagte Tsukuru. »Außerdem kann man bei mir nicht gerade sagen, dass ich leidenschaftlich dafür entbrannt bin. Ich habe nur ein besonderes Interesse an dem Gegenstand.«
    »Ich wollte nicht unhöflich sein. Es ist eine beachtliche Leistung, im Leben einen Gegenstand zu finden, für den man sich besonders interessiert.«
    Tsukuru überlegte, ob er auf den Arm genommen wurde, und sah dem jüngeren Studenten ins markante Gesicht. Doch der andere schien es ernst zu meinen. Seine Miene war offen und aufrichtig.
    »Dein Name passt zu dir. ›Tsukuru‹ wie das Verb für ›etwas machen‹. In deinem Fall sind es Bahnhöfe. Das liegt dir. Wie dein Name schon sagt.«
    »Stimmt, ich habe schon immer gern etwas gebaut oder so«, pflichtete Tsukuru Tazaki ihm bei.
    »Ganz im Gegensatz zu mir. Ich bin von Natur aus ungeschickt. Schon in der Grundschule habe ich die einfachsten Bastelarbeiten nicht hingekriegt. Nicht mal Lego konnte ich. Ich denke gern abstrakt über die Dinge nach, egal was es ist. Davon kann ich nie genug bekommen. Aber wirklich Hand anlegen und etwas in eine konkrete Form bringen, das kann ich nicht. Ich koche gern, aber Lebensmittel verlieren ja durch die Zubereitung auch ihre ursprüngliche Form. Du findest es bestimmt komisch, dass einer, der zwei linke Hände hat, auf die Technische Hochschule geht.«
    »Worauf willst du dich denn spezialisieren?«
    Tsukurus neuer Freund überlegte einen Moment. »Ich weiß es nicht genau. Im Gegensatz zu dir habe ich mich noch nicht entschieden. Auf alle Fälle möchte ich möglichst gründlich darüber nachdenken. Einfach die Freiheit haben, nur nachzudenken. Mehr nicht. Obwohl reines Nachdenken im Grunde wohl so etwas wie ein Vakuum schafft.«
    »Ich nehme an, die Welt braucht auch ein paar Leute, die ein Vakuum schaffen«, sagte Tsukuru, und der andere lachte amüsiert.
    »Wenn die alle anfangen würden, statt Salat und Tomaten ein Vakuum nach dem anderen zu produzieren, säßen wir ganz schön in der Tinte.«
    »Gedanken sind wie Barthaare. Sie sprießen erst, wenn man erwachsen ist. Hat irgendjemand gesagt«, sagte Tsukuru. »Ich habe aber vergessen, wer.«
    »Voltaire.« Der jüngere Student rieb sich das Kinn und lachte. Er hatte ein heiteres, argloses Lachen. »Aber vielleicht stimmt das ja auch gar nicht. Ich habe fast keinen Bartwuchs, aber schon als Kind gern nachgedacht.«
    Sein Gesicht war tatsächlich sehr glatt und fast haarlos. Er hatte dichte, schmale Augenbrauen, und seine wohlgeformten Ohren erinnerten an schöne Muscheln.
    »Voltaire wollte statt Gedanken wohl eher Selbstbesinnung sagen«, sagte Tsukuru.
    Der andere neigte leicht den Kopf zur Seite. »Es ist Schmerz, der Selbstbesinnung hervorbringt. Das hat nichts mit dem Alter und noch weniger mit dem Bartwuchs zu tun.«
    Der junge Mann hieß Haida – »graues Feld«. Fumiaki Haida. Herr Grau. »Wieder jemand mit einer Farbe«, dachte Tsukuru. Obwohl Grau natürlich eine eher gedeckte Farbe war.
    Keiner der beiden war als besonders geselliger Charakter zu bezeichnen, doch nachdem sie sich häufiger gesehen und miteinander gesprochen hatten, fassten sie eine natürliche Zuneigung zueinander und gaben ihre Zurückhaltung auf. Nun trafen sie sich jeden Morgen um dieselbe Uhrzeit, um gemeinsam zu schwimmen. Beide kraulten lange Strecken, aber Haida war schneller. Er war schon als Kind im Schwimmverein gewesen und hatte sich einen sehr schönen Schwimmstil angeeignet, der ohne jeden überflüssigen Kraftaufwand auskam. Elegant und leicht wie Schmetterlingsflügel glitten seine Schulterblätter durchs Wasser. Nachdem er einige Feinheiten an Tsukurus Stil korrigiert und sie bewusst mit ihm trainiert hatte, konnte dieser bald mit dem Tempo seines Freundes mithalten. Zu Anfang hatten die beiden nur über Schwimmtechniken gesprochen. Doch allmählich dehnten sie ihre Gespräche auch auf andere Bereiche aus.
    Haida war ein schlanker, gut aussehender Junge. Sein Gesicht war fein gemeißelt wie das einer antiken griechischen Statue, es war auf eine zurückhaltende Art klassisch und intelligent. Je öfter man ihn ansah, desto mehr kam die Anmut seiner Züge zur Geltung. Er war nicht der Typ des auffällig schönen Jünglings.
    Er trug die Haare kurz, und seine Kleidung bestand aus stets

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