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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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einen Moment, bis er wieder richtig Luft bekam. Das Herz hämmerte ihm gegen die Rippen.
    Kein Zweifel. Das sind Haidas Fußsohlen, dachte Tsukuru. Größe und Form waren identisch, ebenso der präzise Beinschlag und die Wirbel. Sie waren klein und weich, wie die Bewegungen der Füße. Im Schwimmbecken an der Universität war Tsukuru stets hinter Haida geschwommen und hatte so dessen Fußsohlen ständig im Blick gehabt, wie jemand, der nachts fährt, die Rücklichter seines Vordermanns immer vor Augen hat. So hatte sich ihm die Form der Füße fest eingeprägt.
    Tsukuru stieg aus dem Wasser, setzte sich auf einen Startblock und wartete, bis der Schwimmer vor ihm wendete.
    Es war nicht Haida. Wegen der Bademütze und der Schwimmbrille konnte er das Gesicht des Mannes zwar nicht erkennen, aber bei genauerem Hinsehen wurde ihm klar, dass er zu groß war, um Haida zu sein. Und seine Schultermuskulatur zu ausgeprägt. Er hatte auch einen ganz anderen Nacken. Außerdem war er zu jung, wahrscheinlich noch ein Student. Haida musste inzwischen Mitte dreißig sein.
    Obwohl er nun wusste, dass es eine Verwechslung war, hörte Tsukurus Herz nicht auf zu klopfen. Er setzte sich auf einen Plastikstuhl am Beckenrand und sah dem unbekannten Schwimmer lange zu. Dieser schwamm sehr schön und machte keine überflüssigen Bewegungen. Sein Stil hatte große Ähnlichkeit mit dem Haidas. Man konnte fast sagen, er war identisch. Es spritzte kein Wasser, und er verursachte auch keine unnötigen Geräusche. Die Ellbogen tauchten geschmeidig aus dem Wasser auf und glitten über die Daumen ruhig wieder hinein. All das geschah ohne jede Hektik. Sein Schwimmstil basierte auf völliger innerer Ruhe. Doch so groß die Ähnlichkeit auch war, es war nicht Haida. Bald stieg der Mann aus dem Wasser, nahm seine schwarze Bademütze und seine Schwimmbrille ab und verließ, sich das kurze Haar mit einem Handtuch rubbelnd, die Halle. Er hatte ein kantiges Gesicht und eine ganz andere Ausstrahlung als Haida.
    Tsukuru gab den Gedanken, weiter zu schwimmen, auf, duschte und zog sich an. Dann setzte er sich auf sein Fahrrad und fuhr nach Hause, um ein leichtes Frühstück zu sich zu nehmen. Vielleicht ist es Haida, der mich innerlich blockiert, dachte er.
    Urlaub zu bekommen, um nach Finnland zu reisen, war kein Problem. Er hatte bisher so gut wie keinen genommen, und die freien Tage türmten sich wie gefrorener Schnee unter einer Dachtraufe. Sein Vorgesetzter sah nur etwas verdutzt aus.
    »Wieso Finnland?«, fragte er.
    Er wolle eine Freundin aus der Oberschule besuchen, die dort lebe, erklärte Tsukuru. Wahrscheinlich hätte er sonst nie wieder Gelegenheit, nach Finnland zu kommen.
    »Was muss man denn von Finnland kennen?«, fragte sein Vorgesetzter.
    »Sibelius, Filme von Aki Kaurismäki, Marimekko, Nokia, die Mumin-Familie«, zählte Tsukuru auf, was ihm aufs Geratewohl einfiel.
    Der Vorgesetzte zuckte mit den Schultern. Anscheinend erregte keines dieser Kulturgüter sein Interesse.
    Tsukuru rief Sara an, und sie legten das Datum für einen Nonstop-Flug von Narita nach Helsinki fest. In zwei Wochen würde er abreisen, vier Tage in Helsinki bleiben und dann nach Tokio zurückfliegen.
    »Wirst du Kuro vor deinem Abflug anrufen?«, fragte Sara.
    »Nein, ich will sie unangemeldet besuchen, wie ich es auch in Nagoya gemacht habe.«
    »Aber Finnland ist weiter als Nagoya. Hin und zurück macht das eine ganz schöne Strecke. Stell dir vor, du kommst dorthin, und Kuro ist seit drei Tagen auf Mallorca im Urlaub. So etwas kann passieren.«
    »Dann schaue ich mir eben Helsinki an und komme zurück.«
    »Wenn du so denkst, ist das natürlich in Ordnung«, sagte Sara. »Aber möchtest du nicht noch ein paar andere Orte sehen, wenn du schon so weit fliegst? Tallinn oder Sankt Petersburg sind nur einen Katzensprung entfernt.«
    »Nein, mir genügt Finnland«, sagte Tsukuru. »Ich fliege von Tokio nach Helsinki, bleibe vier Tage dort und komme zurück.«
    »Einen gültigen Reisepass hast du ja?«
    »Als ich bei meiner Firma anfing, sagte man mir, ich solle mir einen anschaffen, damit ich jederzeit für eine Dienstreise ins Ausland gerüstet sei. Aber er ist bis heute unbenutzt.«
    »In Helsinki kommst du mit Englisch über die Runden, aber wie es auf dem Land ist, weiß ich nicht. Meine Firma hat ein kleines Büro in Helsinki. Eine Art Zweigstelle. Ich sage dort Bescheid, dass du kommst. Falls etwas sein sollte, wendest du dich an Olga, die junge Finnin, die dort

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