Die Plantage: Roman (German Edition)
herumgereicht.
Die Schauerleute waren die Champions dieser Saison. Im Entscheidungsspiel wurden mehrere Stürmer schwer gefoult und mussten ausgewechselt werden. Als den Schauerleuten die Ersatzspieler ausgingen, sprang ein Mann aus dem Publikum über die Absperrung und lief zum Kapitän. Die Zuschauer schienen ihn zu kennen. Der Bursche sei ein Streuner, entnahm Reed den Bemerkungen der Umstehenden, ein junger Glücksritter, der wegen seiner Spielschulden wohl bald aus der Stadt geworfen werde.
Die Teamchefs hatten sich unterdessen geeinigt. Der neue Mann band sich die grüne Schärpe der Schauerleute um und lief unter dem anerkennenden Beifall des Publikums aufs Feld. Reed schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Unter den anderen Spielern wirkte er wie ein Halbwüchsiger, erwies sich im Spielverlauf jedoch als kampferprobt und reaktionsschnell wie kaum ein anderer. Von Anfang an blieb er hart am Gegner, übernahm die Sturmspitze, brachte den Ball konsequent nach vorn und warf nach wenigen Minuten sein erstes Tor. Die Leute applaudierten und skandierten seinen Namen: Roscoe! Roscoe!
Wegen seiner rauen Taktik wurde Roscoe vom Schiedsrichter mehrfach verwarnt. Aber er warf Tore und brachte seine Mannschaft in Führung. Als der Schlusspfiff ertönte, hatten die Hafenarbeiter die Soldaten haushoch besiegt. Rund ums Spielfeld gab es begeisterten Beifall, die Champions ließen sich feiern, Wettgewinne wurden ausgezahlt, allmählich brachen dieLeute auf. Auf dem Weg zu seinem Wagen kam Reed an der Spielerbank vorbei. Roscoe saß dort allein für sich. Unberührt von der Siegesfreude seiner Mitspieler, blickte er teilnahmslos vor sich hin, während er sein Hemd zuknöpfte. Reed blieb stehen und sah zu, wie er seine Stiefel anzog und die Stiefelriemen schnürte. Als er endlich den Kopf hob, berührte Reed mit behandschuhter Hand die Hutkrempe.
»Ich könnte Sie im Wagen in die Stadt mitnehmen.«
Roscoe strich sich das schweißnasse Haar aus der Stirn und sah ihn mit unbestimmtem Ausdruck an. Auf Reeds einladende Geste hin stand er auf, nahm Rock und Hut und folgte ihm wortlos zum Kutschenstand.
Die geräumige Calèche war schon vorgefahren. Der Kutscher riss den Wagenschlag auf und wartete in serviler Haltung, bis Reed eingestiegen war. Roscoe, einen Fuß auf dem Antritt, stand vollkommen versunken in Betrachtung des luxuriösen Wagens und strich sacht mit den Fingerspitzen über den makellos schimmernden, nachtblauen Lack; eine Geste naiver Bewunderung, die Reed lächerlich fand und doch auch rührend.
»Als ich ein Junge war, hatten wir eine Kutsche und schöne Pferde«, sagte Roscoe mehr zu sich selbst. »Im Frühling fuhr Mamá mit mir ans Meer.« Er sprach in einem eigenwillig schleppenden Tonfall und überdehnte die einzelnen Silben. Noch nie hatte Reed jemanden so reden gehört.
25.
Roscoe war Kreole aus der einstmals spanischen Kolonie East Florida. Nachdem der Familienbesitz verloren und die verarmte Familie zu Verwandten nach Georgia gezogen war, verbrachte er seine Jugend mit anderen jungen Tagedieben am Hafen von Savannah. Er konnte weder lesen noch schreibenund lernte, sich mit seinen Fäusten Respekt zu verschaffen. Eine Weile verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Schaukämpfen, bis er sich mit siebzehn Jahren zum Dienst in der britischen Kolonialarmee verpflichtete. Nachdem er außer Kämpfen nichts gelernt hatte, brach er wahllos Duelle vom Zaun, um sich abzureagieren. Als er dazu überging, Untergebene zu quälen, endete die Episode bei der Armee mit seiner unehrenhaften Entlassung.
Er verließ Savannah und kam 1776 nach Charles Town, einer von vielen jungen Abenteurern ohne Geld oder Protektion und ohne die geringsten Ambitionen, außer einem fatalen Hang zum Glücksspiel. Er trank, war unverschämt und schlug sich schon aus geringstem Anlass. Auf ruinöse Spielschulden häufte er Verluste aus infantilen Wetten und wäre im Schuldgefängnis gelandet, hätte sich nicht stets jemand gefunden, der sich für ihn verwendete und ihn vor den Konsequenzen seines exzessiven Lebens bewahrte. Der Grund dafür war sehr einfach: Roscoes erotische Ausstrahlung weckte Begierden; Frauen wie Männer wollten ihn zum Liebhaber und kamen im Gegenzug bereitwillig für seinen Unterhalt auf.
Er war sich seiner Wirkung bewusst, wenngleich er sie nicht absichtlich ins Spiel brachte. Anmutig, wohlgestalt und kaum fünf Fuß sechs Inches groß, sah er aus wie ein Heranwachsender. Seine weichen, von langen Locken umspielten
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