Die Plantage: Roman (German Edition)
Gesichtszüge, die dunklen Augen voll jugendlichen Trotzes verstärkten den knabenhaften Eindruck, doch sein Körper war eindeutig der eines Mannes, muskulös, durchtrainiert, mit einer Aura passiver, naturhafter Sinnlichkeit. Er legte seinen Gönnern gegenüber provozierendes Desinteresse an den Tag und leistete die geschuldeten Liebesdienste teilnahmslos und ohne Leidenschaft. Aber gerade die Gleichgültigkeit, mit der er sich darbot, war für viele unwiderstehlich.
Es überraschte ihn daher nicht, von Reed angesprochen zu werden. Aber Reeds Interesse war nicht sexueller Art. Als erRoscoes offensivem Spiel zusah, einer Synthese aus Draufgängertum und Gewaltbereitschaft, war ihm blitzartig klar geworden, dass er die Lösung für sein Problem gefunden hatte: Er musste jemanden wie Roscoe zum Leibwächter nehmen! Einen unerschrockenen Burschen wie ihn brauchte er an seiner Seite, wenn er durch einen Anfall je in Schwierigkeiten geriete. Natürlich hieße das, ein nicht geringes Risiko einzugehen, denn nach der ersten Absence wüsste sein Begleiter über seinen Geisteszustand Bescheid und Reed wäre ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Doch blieb ihm eine Wahl? Die Anfälle hatten wieder begonnen, ständig musste er befürchten, sich durch sein Verhalten zu verraten. Es ging so weit, dass er an manchen Tagen das Haus nicht mehr verließ. Bevor er völlig paranoid wurde, musste er etwas unternehmen.
Auf der Fahrt in die Stadt erwies Roscoe sich als nicht gerade gesprächig. Reed bestritt die Unterhaltung nahezu allein und bekam den argen Verdacht, Roscoe verstünde überhaupt nicht, worüber er mit ihm redete. Als er sich später über ihn erkundigte, bekam er zu hören, Roscoe lasse sich aushalten. In der Hinsicht schien er wenig Skrupel zu kennen; für Geld, hieß es, tue er alles und bediene bereitwillig die niedersten Triebe. Reed beobachtete ihn eine Zeit lang, um sich eine Meinung zu bilden. Er hielt ihn für nicht besonders intelligent, und wie alle geistlosen Menschen schien sich Roscoe die meiste Zeit zu langweilen. Wetten und Glücksspiele waren seine einzige Form der Unterhaltung. Reed brauchte ihn nur gelegentlich am Spieltisch einzuladen, und bald wich Roscoe nicht mehr von seiner Seite.
Jetzt sah man Reed wieder in den Clubs und Bars der Stadt, immer in Begleitung Oliver Roscoes. Er zahlte ohne Limit für die Verbindlichkeiten seines notorisch verschuldeten Begleiters, ermöglichte ihm jede Art von Amüsement und ein Leben im Überfluss. Seine Beziehung zu dem jungen Herumtreiber warkurze Zeit in aller Munde, dann hatte man sich an das ungleiche Freundespaar gewöhnt.
Roscoe war nicht sicher, was Reed sich von ihrer Freundschaft erwartete. Letztlich verwirrte ihn Reeds Haltung, seine Überlegenheit und Großzügigkeit schüchterten ihn ein. Wenn Reed mit ihm sprach, wurde ihm jedes Mal bitter bewusst, welche intellektuelle Kluft ihre Welten trennte. Und doch fühlte er sich in seiner Nähe wohl. Dieser Mann war für ihn der Inbegriff eines Gentleman. Er bewunderte ihn und wollte lernen, sich genauso ehrenhaft zu verhalten.
Reed hatte anfänglich Zweifel, ob er sich an Roscoes dauernde Anwesenheit in seinem Hause würde gewöhnen können. Um seinem Bedürfnis nach Abstand Rechnung zu tragen, überließ er Roscoe vorsorglich eine ganze Etage zur freien Verfügung. Trotzdem brachte das gemeinsame Leben die beiden Männer einander näher, in ganz anderer Weise, als Reed geahnt hatte. Als Roscoe nämlich bemerkte, dass Reed sich keine Geliebte hielt und Frauen grundsätzlich mied, nahm er sich unaufgefordert der nächtlichen Bedürfnisse seines Freundes an. Es war ein zweckorientierter geschlechtlicher Umgang, der Reeds Verzicht auf weibliche Nähe erträglicher machte; später wurde er Teil ihrer Vertrautheit.
Roscoe musste erst ein Lebensgefühl für Komfort und finanzielle Freiheit entwickeln. Er kleidete sich wie ein Dandy, richtete seine Räume in Reeds Stadthaus völlig neu ein und lebte nur zu seinem Vergnügen; sogar ein eigener Wagen mit Kutscher stand zu seiner Verfügung.
Reed legte ausdrücklich Wert auf seine Begleitung außer Haus, ließ aber nie den Eindruck entstehen, er fordere seine Gesellschaft als Gegenleistung für seine Freigiebigkeit. Tatsächlich deutete Reed mit keinem Wort an, dass er ihn aus einem bestimmten Grund bei sich aufgenommen hatte. Nach reiflicher Überlegung hatte er sich entschlossen, das Problem seiner psychischen Verfassung nicht zur Sprache zu bringen.Er
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