Die Plantage: Roman (German Edition)
mausgrauer Perücke. Seine geduldige Miene erinnerte an jene subalternen Lohnschreiber, die in lichtlosen Halbgeschossen ein bescheidenes Auskommen fanden. Doch der Schein trog, wie so oft. Merryman hatte seinen Club im Laufe der Jahre durch kluge Geschäftspolitik zum einträglichsten Spielcasino der Stadt und sich selbst zu einem reichen Mann gemacht. Den Erfolg verdankte er seinem exzellenten Personengedächtnis, der umsichtigen Schulung seines Personals, nicht zuletzt auch einem gewissen Laisser-aller im Umgang mit seinen Gästen.
Er empfing William an der Bar und bestellte Brandy. »Sie wissen, Mr. Marshall, dass Sie uns einen großen Dienst erwiesen haben?«
»Der Herr im gelben Rock? Das habe ich gerne getan, der Mann hat sich unsportlich verhalten.«
»Unsportlich! Eine interessante Sichtweise«, meinte Merryman. »Besäße ein Falschspieler genug sportlichen Ehrgeiz, sich nicht erwischen zu lassen, müsste ich befürchten, Sie zollten ihm am Ende gar Respekt!« Ihre Brandys wurden serviert, sie tranken sich zu, dann fuhr Merryman fort: »Sie werden verstehen, dass ich den Fall pragmatischer beurteile. Der Mann wird den Club nicht wieder betreten, schließlich muss ich nicht dulden, dass meine Gäste mich ausplündern.«
»So viele Falschspieler werden es doch nicht sein?«
»Gelegenheit macht Diebe, heißt es nicht so? Mein Metier hat mich gelehrt, dass jeder zum Falschspielen tendiert, wenn er nur intelligent und skrupellos genug ist.« Mit dem Lächeln eines Großinquisitors fügte Merryman hinzu: »Ich habe das Gefühl, wir sind uns schon einmal begegnet, Sir.«
»Möglich. Doch bin ich kein Freund des Nachtlebens, ich bevorzuge den frühen Morgen.«
»Tatsächlich? Ich glaubte, aus Ihrer Reservierung jenes bestimmten Tisches auf der Empore schließen zu dürfen, unsere Räumlichkeiten seien Ihnen vertraut.«
»Nun, ich wollte in Ihrem Restaurant dinieren. Leider möchte die Dame, die ich hier traf, den Abend in anderer Begleitung verbringen.«
»Ich gebe zu, Ihr Tête-à-Tête mit Miss Trenton ist mir nicht entgangen. Es täte mir leid, wenn ich Rossetti in einem unpassenden Moment geschickt hätte. Er meinte, Sie seien wegen der Störung verärgert gewesen?«
»Keineswegs, meine Unterhaltung mit Miss Trenton war ohnedies beendet.« William stellte sein leeres Glas auf die Bar.
»Danke für den Drink, Mr. Merryman.«
»Sir, es war mir ein Vergnügen.«
Merryman begleitete William zur Halle. Als der Diener Williams Garderobe gebracht hatte, kam Merryman auf den Anlass des Gesprächs zurück.
»Auch wenn Sie meinen, es sei nicht der Rede wert, möchte ich Ihnen doch danken, dass Sie den Ruf meines Hauses vor Schaden bewahrt haben. Ich stehe in Ihrer Schuld, und es wäre mir eine Freude, mich erkenntlich zeigen zu können. Sollten Sie einmal meine Hilfe benötigen …«
»Unwahrscheinlich, aber danke«, sagte William kurz. Er setzte den Hut auf und behielt den Mantel über dem Arm. Nach einem flüchtigen Gruß gingen sie auseinander.
Gäste kamen und gingen. Unbeachtet stand Merryman in der belebten Halle seines Clubs, durch die offene Eingangstür sah er William in eine Droschke steigen und davonfahren. Ein feines Lächeln lag um seinen Mund. Wie lange mochte es wohl dauern, bis ihm unter der Hand zugetragen würde, dass der Colonel zurück sei?
Trotz der späten Stunde herrschte auf den Boulevards viel Verkehr. William klappte das Fenster herunter. Feuchte Nachtluft, schwer von Regen und kaltem Kohlenrauch, strömte herein und mischte sich mit dem stockigen Geruch im Innenraum der Mietdroschke. Er sah unbeteiligt nach draußen, froh, demCocoa Tree und seinen Erinnerungen und Illusionen entkommen zu sein. Noch nie hatte er sich in vertrauter Umgebung so fremd gefühlt. Was ihn einst mit der Welt dieser leichtlebigen Menschen verbunden hatte, war unwiederbringlich verloren. Er war ein Fremder geworden, und das nicht erst, als er sich einen anderen Namen zulegte. Der Bruch ging tief, er trennte ihn von seinem vorigen Leben. Nach allem, was mit ihm geschehen war, gehörte er nicht mehr hierher. Andere spürten es auch, Cornwallis, Beatrice, Merryman – unabhängig voneinander hatten sie es ihm klargemacht. Merryman war zu klug, um indiskret zu sein; er redete vorsichtig von Falschspielerei. Aber Beatrice und Cornwallis hatten ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er gut daran täte, seinen Heldentod nicht zu überleben.
Der Regen hatte aufgehört, als die Droschke in den ruhigen Berkeley
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