Die Plantage: Roman (German Edition)
So entkamen sie ihren Dämonen.
34.
Die Lage der Tristar war hoffnungslos. Nach Stunden vergeblichen Ankämpfens gegen den Orkan trieb sie entmastet mit gebrochenem Steuerruder in den Untergang. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann das geschlagene Schiff gegen die Felsklippen vor der Île d’Ouessant geschleudert würde.
Als dem Mann die Kräfte schwanden und er der Gewalt des Sturms nichts mehr entgegensetzen konnte, gab er seine Einwilligung in das Ende. Wie der Junge am Anfang fremder Gier,so unterlag der Mann einer entfesselten Natur. Er hielt sich nicht mehr aufrecht, die Hände an die Heckgalerie gebunden, schleiften die blutenden Knie auf den Planken. Er brüllte nicht mehr an gegen den Orkan, er hatte verloren, immer wieder verloren. Er weinte um den kleinen Miguel, um Algernon, seinen einzigen Freund, und erkannte, dass der Einsatz zu hoch gewesen war.
Im Sommer 1780 formierten sich in den Südprovinzen starke Milizenverbände und begannen, gemeinsam mit den Kontinentaltruppen das Land Stück um Stück zurückzuerobern. Reed hatte sich im Rang eines Captains zur Miliz von South Carolina gemeldet. Um seine Einheit auf volle Mannschaftsstärke zu erweitern, stellte er ein Aufgebot zusammen und rekrutierte Männer aus Charles Town und den Gemeinden am Ashley River. Er warb auch Oliver Roscoe für seine Truppe. Durch die unehrenhafte Entlassung war Roscoe der Eintritt in die Armee verwehrt, doch bei der Miliz nahm man es nicht so genau. Reed setzte es durch, dass er als First Lieutenant seinem Befehl unterstellt wurde; so zogen die Freunde zusammen in den Krieg.
Die Kampagnen weckten Reeds Temperament, nie hatte Roscoe ihn so energisch erlebt. Als Kompaniechef nahm er die Verantwortung für seine Provincials sehr ernst. Er besorgte auf seine Kosten Uniformen und Waffen und achtete darauf, dass die Männer vernünftig ernährt und untergebracht waren; auch im Gefecht blieb er an der Seite seiner Leute. Mit dem Beginn der Kriegszüge verschwanden seine Anfälle, nach Jahren der Heimsuchung schien sein Geist einstweilen Frieden gefunden zu haben. Roscoe empfand diese Zeit wie eine Befreiung. Zwischen den Gefechten und der Routine des Patrouillendienstes lebten er und Reed im Feldlager. Sie teilten das einfache Leben der Soldaten und waren sich nahe, ohne sich wie früher nahezukommen.
Die Monate bei der Miliz waren für Roscoe die glücklichste Zeit ihrer Freundschaft, bis zu einem Zwischenfall kurz vor Kriegsende: Ihr Jägerbataillon sollte zu einem Truppenverband der Continentals aufschließen, der ein britisches Hilfscorps auf dem Weg nach Virginia verfolgte. Am Santee River wollten sie den Briten den Weg abschneiden. Doch in den High Hills gelang der englischen Vorhut ein Ablenkungsmanöver, das dem Gros ihrer Hilfstruppen den sicheren Rückzug über den Fluss ermöglichte. Bei der Aktion wurde die englische Vorhut von der Überzahl amerikanischer Kavallerie niedergemacht.
Als Reeds Kompanie eine knappe Stunde später eintraf, wehte von den Hügeln der Geruch des Todes. Er ließ das Lager aufschlagen, teilte die Patrouillen ein und unternahm mit Roscoe und seinem Adjutanten einen Aufklärungsritt. Auf der Anhöhe empfingen sie die Krähen. Zwischen den Toten der englischen Vorhut fanden sie einen Überlebenden, Colonel Spencer, ein Offizier der British Legion, der durch sein rüdes Vorgehen den Widerstand der Patrioten zermürbt und den Zusammenhalt in der Bevölkerung mittels brutaler Strafaktionen zerschlagen hatte. Er war eine Hassgestalt für die Miliz, Reed und Roscoe betrachteten ihn als persönlichen Feind, weil er viele ihrer Kameraden auf dem Gewissen hatte. Nun war Spencer ihnen ausgeliefert. Noch am Boden liegend und schwer verletzt, bedrohte er sie mit der blanken Waffe.
Unter dem Eindruck der Gewalttaten, die auf Spencers Befehl begangen worden waren, übertraten Reed und Roscoe die Grenze des Erlaubten und übten Vergeltung. Roscoe, dem Meister der Schmerzen, konnte selbst Spencer auf Dauer nicht standhalten. Reed sah ruhig zu, wie er den Engländer malträtierte. Plötzlich trat er heran, eine Klinge blitzte in seiner Hand. Roscoe machte keinen Versuch, ihn aufzuhalten, sondern entfernte sich, um ein Stück weiter bei den Pferden zu warten.
Er hatte Spencer übel zugerichtet. Aber als er ihn jetzt schreien hörte, wurde ihm klar, dass das Leiden des Engländersgerade erst begann. Reed tötete langsam, indem er seinen Opfern die Haut vom Leibe schnitt. Was für ein elender Tod,
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