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Die Plantage: Roman (German Edition)

Die Plantage: Roman (German Edition)

Titel: Die Plantage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Tarley
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dachte Roscoe ohne Mitleid. Als die Sonne sank, verstummten die Schreie. Reed kauerte neben Spencer am Boden, als wollte er ihm beim Sterben zusehen. Roscoe wünschte, er würde es endlich beenden. Worauf wartete er noch? Auf einmal sah er, dass sein Freund den Geschundenen in die Arme nahm. Roscoe wollte seinen Augen nicht trauen, als Reed den Engländer wahrhaft innig an sein Herz drückte. Er lief hin, schüttelte ihn, damit er Spencer losließ.
    »Das reicht jetzt!«, fuhr er ihn an.
    Reed stieß seinen Freund unwillig zurück. Er wirkte nicht desorientiert wie sonst nach einem Anfall, nur schien er sich vom Anblick des blutüberströmten Mannes kaum losreißen zu können.
    »Ist er tot?«, fragte Roscoe.
    Reed fasste an Spencers Kehle und nickte. Dann stand er auf, nahm das Messer vom Boden, wischte mit dem Handschuh das Blut ab und steckte es in den Stiefelschaft. Wortlos wandte er sich ab und ging zu den Pferden.
    Roscoe zog dem wie leblos daliegenden Spencer den Waffenrock über, um die schändlichen Verletzungen zu verbergen; so ließ er ihn liegen und folgte Reed zum Lager. Am nächsten Morgen befahl Reed den Rückmarsch. Er schickte seine Leute in die Etappe nach Charles Town und begab sich auf seine Plantage Hollow Park. Roscoe blieb bei der Truppe, bis die Miliz aufgelöst wurde.
    Seit dem Vorfall in den High Hills verhielt Reed sich vorsichtiger denn je. Er zog sich zurück und arbeitete. Roscoe blieb immer nur ein, zwei Tage auf Hollow Park. Die übrige Zeit verbrachte er damit, sich in der Stadt zu vergnügen. Wie viele andere Glücksritter nutzte er die Besatzungssituation Charles Towns für persönliche Freiheiten. Er überhörte die Mahnungen seines Freundes, sich unauffälliger zu betragen, bis Reedihm irgendwann sämtliche Zuwendungen strich. Glühend vor Zorn stellte Roscoe ihn zur Rede, doch Reed blieb bei seiner Haltung. Darauf trennten sie sich in Unfrieden.
    Roscoe sah sich nach einer Verdienstmöglichkeit um; insoweit wenigstens hatten Reeds Erziehungsversuche gefruchtet. Er bewarb sich auf eine Ausschreibung der Starline-Schifffahrtsgesellschaft als Generalagent für die Londoner Niederlassung. Kaum ein Amerikaner ging in jener Zeit freiwillig nach England, daher nahm die Starline Company ihn ohne Referenzen unter Vertrag. Die Kränkung durch seinen Freund hatte Roscoes Familienstolz geweckt: Ein Martinez de Avilés, ein Grande von Geburt, ließ sich nicht vor die Tür setzen! Schon eine Woche nach dem Zerwürfnis mit Reed verließ er Charles Town und begab sich mit wehenden Fahnen nach London.
    Die Hauptstadt des Commonwealth bot an Zerstreuung, was er sich nur wünschte, und bald fand er in der vielschichtigen Gesellschaft der Alten Welt den ihm gemäßen Lebensraum. Die Leitung der Hafenagentur sollte ihn nicht allzu sehr beanspruchen; während seine Angestellten ihm im Wesentlichen die Arbeit abnahmen, nutzte er seine Möglichkeiten als Generalagent der Starline Company, um unter der Hand seine eigenen, illegalen Geschäfte zu betreiben.
    Nach wie vor faszinierte er die Menschen durch sein verführerisches Äußeres. Doch wer ihn näher kennenlernte, nahm davon Abstand, sich über den Zeitvertreib eines Verhältnisses hinaus mit ihm einzulassen. Nur einer hatte bisher die Souveränität besessen, ihn mit all seinen Schwächen zu akzeptieren; so dauerte es nicht lange, bis er merkte, wie sehr Algernon Reed ihm fehlte. Doch weil sein Stolz nun einmal verletzt war, ließ er Reeds Briefe unbeantwortet. Während die Monate vergingen, setzten die Anfechtungen der Einsamkeit ihm immer mehr zu. Schließlich beschloss er, die Tristar auf der nächsten Überfahrt nach Amerika zu begleiten und Reed bei der Gelegenheitwiederzusehen. Mit ein paar Zeilen in schlechter Orthographie kündigte er ihm seinen Besuch an.
    Die Reise war für den Spätsommer geplant. Inzwischen gelang Roscoe sein bisher bedeutendster Geschäftsabschluss mit dem nordatlantischen Waffenkartell: Offiziell war der Krieg gegen England noch nicht zu Ende, und die Vereinigten Staaten wollten für die Verteidigung ihrer Unabhängigkeit gerüstet sein. Roscoes englische Partner vermittelten den Kontakt zu Major Stanley, einem Beschaffungsoffizier der amerikanischen Armee. Roscoe konnte Stanley die benötigte Lieferung von Gewehren und Artilleriegeschützen aus britischen Waffenschmieden binnen Kurzem zusagen, und man wurde handelseinig.
    Die Sache hatte allerdings den Haken, dass Roscoe dieselben Waffen bereits an einen

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