Die Plantage: Roman (German Edition)
zu sichern. Mit einer Handkarre zog er über die Landzunge von Bizière und las kleinere Holzstücke auf, Splitter von Spieren und Gaffeln, die er vorm Verfeuern nicht zerkleinern musste. Der Kiesstrand führte zu einem Felsvorsprung, der die Landzunge im Westen begrenzte. Der Pater hievte die ungefüge Karre über einen Wall aus groben Kieseln und gelangte in eine Bucht, die nur bei Flut überspült, die übrige Zeit aber durch den aufragenden Felsklotz vor der Brandung geschützt war.
Hier wollte er vor dem Rückweg ausruhen und sah sich nach einem Rastplatz um. Dabei entdeckte er am Ausgang der Bucht ein ungewöhnliches Artefakt. Es war das geschwungeneEndstück der mit Pilastern verzierten Heckgalerie der Tristar. Wie erstaunlich, dachte Père Guénégou, dass die fragile Konstruktion den Schiffbruch unbeschadet überstanden hatte. Der untere Teil des Holzgeländers hatte sich zwischen zwei Felsbrocken verkeilt, sodass die gebogene Brüstung hoch über dem Sand aufragte. Etwas, das ein Bündel Segeltuch oder Takelage sein mochte, hatte sich weiter oben verfangen und schwang sacht in der Seebrise. Père Guénégou überlegte, ob er hinübergehen und sich die Schnitzereien aus der Nähe ansehen sollte. Indessen drehte sich das Bündel oben im Wind.
»Sacré Dieu!«, entfuhr es ihm. Dort an der Heckgalerie hing ein Mensch!
Der Pater hastete über den Strand und blieb atemlos unter dem bizarren Galgen stehen. Der Schiffbrüchige hing zehn Fuß über dem Boden. Seine Handgelenke waren an die Galerie gefesselt, der Abstand zwischen den Händen hielt seine Arme ausgebreitet. Er trug einen Bootsmantel und Stulpenstiefel, sein Kopf war auf die Brust gesunken, von Salz verklebtes dunkles Haar fiel über sein Gesicht. Père Guénégou überlegte, wie er den Mann von da oben bergen sollte, als ein Windstoß den Schiffbrüchigen erfasste und den Mantel wie schwarze Schwingen um seine ausgebreiteten Arme hob. Erschrocken bekreuzigte sich der Pater und sprach ein Stoßgebet. Dann riss er sich zusammen und stieg vorsichtig, wie auf einer gebogenen Leiter, an der Heckgalerie hoch. Mit einer Hand nahm er aus der Tasche seiner Soutane das Messer, das er zum Austernernten dabeihatte, und durchtrennte die Fesseln mit zwei resoluten Schnitten. Der Mann fiel hinab auf den Sand. Eilig stieg der Pater zu ihm herunter, drehte ihn auf den Rücken und strich ihm das Haar aus der Stirn, die von einem schweren Schlag aufgerissen und blutunterlaufen war.
» L’Archange Michel! «, rief Père Guénégou und fiel auf die Knie, denn der Schiffbrüchige glich dem streitbaren Erzengel des Altarbildes, dem die Pfarrkirche von Bizière wie die meistenGotteshäuser der Küste bis zur Abtei von Mont-Saint-Michel geweiht war, wie sein irdischer Zwilling. Versunken betrachtete er den leblos hingestreckten Körper, die weichen Gesichtszüge, den schmerzlich schön geschwungenen Mund des Jünglings, der sterbend mit seinem himmlischen Ebenbild vereint schien. Große Trauer erfasste den Priester angesichts der Verschwendung, die im Tod dieses engelsgleichen Mannes lag. Warum sollte Gott etwas so Schönes vernichten, das er offensichtlich mit viel Sorgfalt erschaffen hatte? Er seufzte und sprach voller Demut die Totengebete.
Oliver Roscoes Lebensweg hätte ihn kaum weiter von seinem Glauben entfernen können. Doch als nun die frommen Litaneien an sein Ohr drangen, wendete er den Kopf der betenden Stimme zu. Überrascht hielt Père Guénégou inne, dann packte er Roscoe beherzt bei den Schultern, schüttelte ihn voller Freude und rief in seinem rauen Französisch: »Komm, mein Junge, mach die Augen auf, nur zu! Sieh, das Leben hat dich wieder! Danke, oh Herr, ich danke dir!«
Roscoe öffnete die Augen unter einem grauen Himmel. Ein alter Mann in der Soutane eines armen Landpfarrers redete in einer fremden Sprache auf ihn ein. Unendlich erschöpft brachte Roscoe Worte hervor, die aus einem anderen Leben kamen: »Padre, ayeúdeme, por favor!«
Père Guénégou stützte ihn, damit er sich aufsetzen konnte, und klopfte den Sand von seinem Mantel, dabei lächelte er mit Tränen in den Augen. »Schon gut, Junge, wir machen alles, was du willst. Zuerst aber nehme ich dich mit in meine Kirche, dort zeige ich dir ein Bild. Das bist du auf dem Bild, du bist der Erzengel Michael!«
»Perdone, Padre, no comprendo.«
Père Guénégou horchte auf. »Du sprichst Spanisch, richtig? Sag mir deinen Namen, mein Sohn. Verstehst du mich? Wie lautet dein N-a-m-e?«
»Il
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