Die Plantage: Roman (German Edition)
erkannte jemand sein Talent, und Roscoe fand seine Bestimmung in der Welt der Schaukämpfe. Ein Club auf dem Gelände der Warren Hastings Warf nahm den Fünfzehnjährigen auf. Das Training war hart, doch schon nach zwei Monaten hatte er genug gelernt, um einem durchschnittlichen Kämpfer seiner Gewichtsklasse entgegenzutreten. Bei den nächtlichen Sessions seines Clubs wurde er regelmäßig in den Ring geschickt. Er traf auf Amateure, Matrosen und Hafenarbeiter, denen es um die Herausforderung des Kräftemessens ging, aber auch auf professionelle Schläger, die nur wegen des Preisgeldes kämpften.
Roscoe war beängstigend gut; wen er zu Boden schickte, der stand so schnell nicht mehr auf. Wegen unnötiger Brutalität wurde er wiederholt verwarnt, längst hatte er unter denjugendlichen Preiskämpfern einen schlechten Ruf, aber der Club verdiente gut an ihm, deshalb behielt man ihn.
Mit sechzehn Jahren war er der Beste unter den Amateuren des Warren Hastings Fight Club. Cheftrainer Jerry Lloyd hatte ihn eine Weile beobachtet. Er wollte den virilen Jungen in der Profiliga sehen und schickte ihn nach ein paar zusätzlichen Trainings gegen Berufsfighter in den Ring. Nun traf Roscoe auf wahre Kampfmaschinen, meist waren es Sklaven von den Zuckerplantagen Jamaikas, die ihren Besitzern hohe Preisgelder einbrachten. Doch gegen Oliver Roscoe waren sie chancenlos. Er war nicht nur ein hochtrainierter Kämpfer, er hatte sich auch zahllose Kämpfe angesehen und die besondere Verletzlichkeit des menschlichen Körpers studiert. Er wusste, wie man jemanden schwer, sehr schwer oder tödlich verletzte.
Als Roscoe im Halifax Fight Club in Atlanta erstmals gegen einen Profi antrat, verstummten schon bald die Anfeuerungsrufe. Der Gegner, ein stiernackiger Syrer mit gewaltiger Armmuskulatur, griff überraschend schnell an. Roscoe wich seinen weit auslegenden Schlägen vier- oder fünfmal aus, dann hatte er den Takt des anderen erkannt. Nach dem sechsten Ausleger, der ihn wieder verfehlte, unterlief er die gegnerische Deckung und trat dem Mann von unten gegen die Kinnlade. Mit gebrochenem Kiefer stürzte der Syrer auf die Bretter. Er spuckte Blut, war vom Schock des Anschlags ganz benommen und kehrte nur langsam in die Gegenwart zurück, wo Roscoe ihn mit zwei schweren Faustschlägen in den Solarplexus empfing. Nach Luft ringend, krümmte sich der Syrer am Boden, während Roscoe sich abwandte und lässig um den Ring schlenderte.
Die Zuschauer begannen zu zählen, es sah nicht so aus, als ob der Syrer wieder aufstünde. Schon hob der Manager an zu den üblichen Phrasen von einem fairen Kampf und dem Sieg des besseren Mannes, als Roscoe seine Kreisbahn unterbrach. Mit zwei Schritten war er bei seinem wehrlosen Gegner und trat ihn ein Mal und sofort ein zweites Mal in den ungeschütztenBereich der Nieren und Lendenwirbel. Der Mann brüllte vor Schmerz, das Publikum stöhnte betroffen, der Manager sah sich nervös nach Unterstützung um. Aber Roscoe ließ ihm keine Bedenkzeit: Er packte die Handgelenke des Syrers und riss ihm die Arme straff nach hinten, die überdrehten Schultergelenke machten den Schmerz der Prozedur sichtbar. So hielt er den Oberkörper des Mannes für einige Sekunden, dann setzte er ihm einen Fuß zwischen die Schulterblätter und trat kurz zu. Das Geräusch brechender Knochen war deutlich zu vernehmen. Roscoe ließ ihn fallen und machte ein paar Übungen zur Lockerung seiner Armmuskulatur.
Der Syrer öffnete den blutigen Mund zu einem gurgelnden Laut, dann bewegte er sich nicht mehr. Empörte Rufe wurden laut, eine Welle von Beschimpfungen folgte. Der Manager des Halifax Fight Club übte Beschwichtigungsgesten und rief nach den Saalordnern. Jerry Lloyd indessen stieß Roscoe in den Tunnel zum Ausgang der Arena.
»Was ist los mit dir, Roscoe, bist du verrückt geworden?«, fuhr er ihn an. »Verflucht, du hast den Mann umgebracht!«
Roscoe, ohne Bewusstsein für die Situation, grinste und schüttelte die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sein nackter Oberkörper glänzte von Schweiß, an seinen Händen klebte das Blut des Toten.
»Wie war ich, Jerry?«, fragte er in einem eigentümlichen, aufreizend schleppenden Tonfall. »Los, sag schon, war ich gut?«
Lloyd war nicht zu Scherzen aufgelegt. »Ich warne dich, Kleiner, so was darf nicht passieren, hast du mich verstanden? Noch so eine Nummer, und du bist gefeuert. Ist das klar?«
»Klar, Boss!«, beteuerte Roscoe mit alberner Schwurgeste. Weil sein Trainer
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