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Die Plantage: Roman (German Edition)

Die Plantage: Roman (German Edition)

Titel: Die Plantage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Tarley
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zu berichten. Er hatte manches gesehen, was sie nur aus Büchern kannte, und als guter Beobachter konnte er ihre vielenFragen präzise beantworten. Sie hörte ihm gerne zu, und er war so zuvorkommend und liebenswürdig, dass ihre Vorbehalte allmählich zurücktraten. In Wahrheit empfand sie Genugtuung über sein Bemühen, ihr gefällig zu sein; es schien ihr fast wie eine Art Wiedergutmachung.
    Nun saß Reed hier auf den Stufen, als wäre er nur gekommen, um die nachmittägliche Muße zu genießen. Doch seine Gedanken waren alles andere als müßig, sie kreisten beständig um einen Brief, der heute aus London eingetroffen war. Roscoe hatte endlich geschrieben! In wenigen Zeilen teilte er ihm mit, dass er Ende des Sommers zurückkommen würde. Nun, er hatte nicht wörtlich »zurückkommen« geschrieben; eigentlich war nur von einem wichtigen Geschäftstermin in NewYork die Rede. Roscoe schlug vor, sie könnten sich bei der Gelegenheit sehen, bevor er nach England zurückfahre.
    Reed hatte den Brief mehrmals gelesen, ehe er die kalkulierte Grausamkeit erkannte, die in den Auslassungen des empörend kurzen Schreibens bestand. War das alles? Nach so vielen Monaten fragte er nicht einmal, wie es ihm ginge? Oliver wusste doch, was mit ihm los war. Wie konnte er so tun, als würde ihn das alles nichts angehen! Ihm wurde klar, dass er in der ganzen Zeit, während er auf Olivers Rückkehr gewartet hatte, nie ernsthaft in Betracht gezogen hatte, er könnte ihn als Freund verloren haben. Was aber, wenn Roscoe ihn nur sehen wollte, um ihm zu sagen, dass er ihn für immer verlasse? Die Vorstellung versetzte ihm einen schweren Schlag. Verzweiflung überfiel ihn, Trauer, Hoffnungslosigkeit. Er war Empfindungen von solcher Intensität nicht gewachsen, sie hätten ihn überwältigen, wenn nicht gar vernichten können. Doch er hatte machtvollen Beistand.
    Nach der Trennung von Roscoe war er erneut zum Gefangenen seiner Obsessionen geworden. Nicht nur, dass er seines lebenswichtigen Begleitschutzes entbehrte; alleingelassen in seinem leeren Haus glaubte er, vor Einsamkeit sterben zumüssen. Sein Unglück trieb ihn immer weiter in den Wahnsinn, bis die Krankheit eines Tages zu ihm sprach: Durch den Zwilling, den sie in seinem Hirn erschaffen hatte, offenbarte sie ihm in endlosen abscheulichen und obszönen Monologen ihre Absichten. Reed hörte zu und fand am Ende darin Trost, denn solange der Zwilling zu ihm sprach, war er nicht allein. Auch heute, in seiner tiefen Verzweiflung, hatte ihn der Zuspruch seines monströsen Versuchers vor einem Nervenzusammenbruch bewahrt. Selbst hier und jetzt, in Antonias Garten, spürte er die Gegenwart des Zwillings.
    »Hallo, Mr. Reed!« Antonia trat aus dem Baumschatten und kam leichten Schrittes auf ihn zu. Schnell stand er auf und ging ihr entgegen. »Was ist nur mit Ihnen? Seit einer halben Stunde sitzen Sie auf der Treppe und träumen vor sich hin.«
    »Sie haben mich beobachtet?«
    »Nun, ich wollte Sie nicht stören.« Sie bemerkte, wie er sie anstarrte, und fragte vorsichtig: »Ist alles in Ordnung?«
    Er atmete tief durch, entschuldigte sich aber gleich mit einem Lächeln: »Es tut mir leid, ich war wohl in Gedanken.« Indem er mit ihr zum Haus zurückging, kam er auf den Grund seines Besuchs zu sprechen: »Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir die Ehre erweisen würden, mich auf Hollow Park zu besuchen? Ich würde Ihnen gerne das Haus und den Park zeigen.«
    Sie beobachtete ihn von der Seite und bemerkte: »Ich hörte, Sie empfangen nie Gäste auf Ihrer Plantage?«
    »Das stimmt. Ich bin nicht gesellig, zudem bringen Besucher nur Unruhe. Aber bitte, bei Ihnen ist das etwas anderes. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie die Geschichte des Anwesens interessiert, die Besonderheiten des Baustils. Hollow Park wurde wie Legacy im Jahr 1671 errichtet, wussten Sie das? Den Häusern liegt dasselbe Konzept zugrunde.«
    »Das hat auch Frank Shaughnessey gesagt. Er meinte, Barton Blure habe ursprünglich auch zu dem Ensemble gehört.«
    »Und es hat von den dreien die originellste Vergangenheit.Angeblich wurde es aufgegeben, weil die Besitzer fürchteten, von Alligatoren gefressen zu werden.«
    »Von Alligatoren?«
    »Wie vormals der alte Morrell. Kennen Sie die Geschichte?«
    »Nein!«
    »Wollen Sie sie hören?«
    »Aber ja!«
    »Gut, kommen Sie nach Hollow Park, und ich werde Sie Ihnen erzählen.«
    Sie lachte über seine Überredungsschliche.
    »Werden Sie kommen, Antonia?«, fragte er sie noch

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