Die Plantage: Roman (German Edition)
mi nome … es Miguel.«
»Miguel? Das bedeutet Michael! Guter Gott, ist das möglich? Du heißt tatsächlich wie unser Erzengel Michael!«
Am 16. Juni 1782 schrieb Père Guénégou an seinen Mitbruder und Freund Émanuel Rammeau:
»Mein Bruder in Christo , lieber Émanuel,
ein Engel ist vom Himmel gefallen! Nach einem gewaltigen Sturm fand ich am Strand einen jungen Mann. Ich hielt ihn für tot, aber Gott hat ihm sein Leben geschenkt. Er heißt Miguel und trägt den Familiennamen kastilischer Granden, spricht aber wie unsere Mitbrüder der Mission in Amerika. Miguel ist stark, er arbeitet wie ein Sklave, sodass mir nichts zu tun bleibt, als die Messe zu lesen. Im Allgemeinen redet er nicht viel und wirkt teilnahmslos; schwer zu sagen, ob er vorsichtig ist oder bloß einfältig. Doch auch wenn er tagsüber schweigt, so spricht er des Nachts im Traum, ruft leidenschaftliche Worte, als verzehre er sich vor Liebe. Unter seiner Traurigkeit spüre ich eine gefährliche Bereitschaft zu Gewalt. Sein inneres Gleichgewicht scheint aus dem Lot, und ich bete zu Gott für seine unsterbliche Seele.
Dein Bruder in Christo Horace Guénégou, SJ«
IX. In der Neuen Welt
35.
Die Umbrellamagnolie hinter dem Haus stand in voller Blüte. Aus dem ausladenden, dunkelgrün glänzenden Blätterdach sprossen Blütendolden, die den Garten mit zartem Duft erfüllten. Unter dem Baum auf einer Bank, bequem in vielen Kissen, lag Antonia und las. Die dicht belaubten Äste reichten ringsum fast bis auf den Rasen und verbargen sie vor dem Blick des Besuchers, der durch die Gartentür auf die rückwärtige Veranda heraustrat. Charlene musste ihm gesagt haben, er würde sie hier draußen finden. Als Antonia seine Schritte durch die Halle kommen hörte, hatte sie schnell den Saum ihres Kleides gerafft und die Füße auf die Bank gezogen; sie wollte nicht, dass er sie gleich entdeckte.
Auf diese Weise sich selbst überlassen, schlenderte Algernon Reed an der Brüstung der Veranda entlang. Den Hut lässig unterm Arm, überblickte er das verwilderte Areal, in dem bis auf die gewaltige Magnolie keinerlei Zierpflanzen wuchsen. Nach Jahren der Vernachlässigung erinnerte nur ein von Quecken und Moos überwachsenes Basrelief an die symmetrischen Strukturen des ursprünglichen Formalen Gartens. Während Reed sich suchend umschaute, beobachtete Antonia ihn durch das Blätterzelt. Wie er wohl reagierte, wenn sie plötzlich, gar nicht weit von ihm, unter dem großen Baum hervorträte? Ob er amüsiert wäre, vielleicht gereizt? Oder nur gelangweilt?
Nach einem letzten Rundblick stieg Reed die fünf Stufenzum Rasen hinunter. Er machte keine Anstalten, die Suche fortzusetzen, sondern setzte sich, nachdem er sorgfältig die Rockschöße geteilt hatte, auf die Treppe und überließ sich seinen Betrachtungen. Still wie ein Vogel im Nest wartete Antonia in ihrem Versteck. Nichts geschah. Reed saß nachdenklich auf den Stufen, als hätte er den Anlass seines Besuchs vergessen. Sie wunderte sich, wie er ohne Anzeichen von Ungeduld dort ausharrte, während jeder andere, davon war sie überzeugt, längst gegangen wäre. Aber er war eben nicht wie jeder andere. Nach Wochen seines beharrlichen Werbens war sie sich immer noch nicht sicher, was sie von ihm halten sollte. Auch wenn er sich ihr gegenüber aufmerksam verhielt, wusste sie, dass die Gesellschaft ihn anders erlebte.
Er stand im Ruf eines Lebemanns und Hedonisten; man sagte ihm nach, er verbringe die Saison in seinen Stadthäusern in Charles Town und Savannah, an den Stätten gehobenen Amüsements. Seine Nachbarn auf dem Lande hingegen hielten ihn für einen Einzelgänger, der in vollkommener Abgeschiedenheit auf seinem Landsitz am Ashley River lebte. Genaueres wusste anscheinend niemand. Und neuerdings schien er sich um Antonia Lorimer zu bemühen. Um sie sehen zu können, begleitete er Shaughnessey bei dessen Besuchen auf Legacy. Er gab sich galant gesprächig und sorgte beim Tee oder an der Abendtafel für angenehme Unterhaltung. Er erzählte sogar witzige Anekdoten und brachte Antonia mit guten Pointen zum Lachen. Sie bemerkte die selbstbewusste Männlichkeit, die er ihr gegenüber an den Tag legte, und nahm seine Aufmerksamkeiten hin, ohne ihn jedoch zu ermutigen.
Mit der Zeit kam er auch alleine nach Legacy, um ihr seine Aufwartung zu machen. Sie unterhielten sich dann auf der Veranda oder gingen im Schatten der Allee eine Weile spazieren. Sie bat ihn, ihr von seinen Reisen nach Louisiana und Virginia
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