Die Plantage: Roman (German Edition)
seine kühlen Fingerspitzen über ihre Stirn und Wange strichen. Sie spürte, wie er sich zu ihr beugte, so nah war er, dass sein Atem sie streifte. Als er sich wieder aufraffte, keuchte er vor Anstrengung. Dann Schritte, die Tür fiel ins Schloss, der Luftzug erstarb.
In seinem Zimmer sank er entkräftet zu Boden. Castor wachte vor der Tür, herinnen war er in Sicherheit. Flach atmend lag er auf den kühlen Holzdielen, während seine Nerven nach und nach taub wurden. Bevor er wieder unter Menschen gehen konnte, würden einige Stunden vergehen; so lange dauerte es, bis sich sein Geist vollständig von dem Ungeheuer, das von ihm Besitz ergriffen hatte, befreien konnte. Schon verlor er das Bewusstsein für seine Person. In einem Zustand apathischer Ruhe, auf Herzschlag und Atmung reduziert, erstarrte jede geistige Regung. Kein Denken. Kein Fühlen. Nichts.Weiter entfernt schlug eine Tür, danach herrschte Stille. Gerade stieg die Sonne über den Fluss. Antonia zog die Bettvorhänge zurück, damit das Morgenlicht ihre dunklen Empfindungen vertrieb. Was hatte Reed in ihrem Zimmer gewollt? Schon am Abend zuvor hatte er sich sonderbar verhalten, aber jetzt, angesichts seines desolaten Zustands, kam ihr der Verdacht, dass mit ihm vielleicht etwas nicht stimmte. Wo war er in der Nacht gewesen, dass sein Pferd fast zuschanden geritten war? Irgendetwas musste passiert sein, woher stammte sonst all das Blut, ja, was hatte er da draußen gemacht? Sie dachte daran, wie er am Abend plötzlich in ihrem Zimmer stand und die Hände um ihren Hals gelegt hatte. Wollte er ihr da etwas antun?
Impulsiv warf sie die Decke zurück und setzte sich auf. Nein, das war absurd! Gestern ging es ihr nicht gut, der Wehenschmerz, die Angst um das Baby hatten sie verwirrt und empfindlich gemacht, kein Wunder, dass sie sich ängstigte, krank, schwach, in einem fremden Haus. Ganz sicher gab es für Reeds Verhalten an diesem Morgen eine einfache Erklärung. Gut möglich, dass er vom Pferd gestürzt war und sich verletzt hatte, schließlich war er die ganze Nacht unterwegs gewesen. Dass er bei seiner Rückkehr heraufkam, um nach ihr zu sehen, gehörte sich zwar nicht, aber deshalb musste sie nicht gleich panisch reagieren.
Sie legte sich wieder hin, um noch ein wenig zu ruhen. Der blaugoldene Betthimmel und die gelb und blau gestreiften Vorhänge leuchteten in warmen Tönen. Da, auf dem Laken neben dem Kopfkissen, war ein rötlicher Fleck. Als sie genauer hinsah, erkannte sie den blassen Abdruck einer Hand und wich jäh zurück.
36.
Bessie kam herein und machte sich leise summend im Zimmer zu schaffen. Sie raffte die Vorhänge hinter den Wandhaltern zusammen und schob das Fenster ganz auf, sodass der Duft von geschnittenem Gras hereinwehte. Sie setzte sich zu Antonia ans Bett und fragte, wie es ihr gehe. Während sie sich unterhielten, tastete sie Antonias Unterleib ab, dann nickte sie zufrieden. »Sie sollten sich eine Weile schonen. Ruhen Sie sich öfter am Tag aus, Maam, und versuchen Sie, jegliche Aufregung zu vermeiden.«
Aufregung vermeiden – genau das hatte Antonia vor, darum wollte sie so bald wie möglich abreisen. Bessie konnte es ihr nicht ausreden aufzustehen, sondern musste ihr sofort Waschwasser, Seife und Handtücher für ihre Morgentoilette bringen und ihr das Haar aufstecken. Antonia strich ihr Reitkostüm so gut es ging glatt und ging nach draußen.
Sie spazierte durch den Formalen Garten und über frisch gemähte Wiesen zu den Rasenterrassen, die wie die flachen Stufen einer überdimensionalen Freitreppe zum Ufer des Ashley River hinabführten. Die Sonne stand hoch am Himmel und sog flirrenden Dunst aus dem breit vorüberströmenden Fluss. Antonias Blick folgte dem sanften Gefälle des Geländes, während sie die Harmonie der Anlage auf sich wirken ließ.
Als sie von ihrem Spaziergang zurückkam, erwartete Castor sie an der Terrassentür und führte sie in das sonnengelbe Speisezimmer, wo das Frühstück für sie angerichtet war. Mehrere Haussklaven bedienten sie mit Tee, verschiedenen warmen Gerichten, Obst und Gebäck. Castor stand in stoischer Ruhe neben der Tür zur Halle. Er verbeugte sich tief, als sein Herr den Raum betrat. Reed ging ohne Zögern auf Antonia zu, sie dagegen konnte ihre Unsicherheit nicht verbergen und errötete, als er ihre Hand zum angedeuteten Kuss ergriff.
»Entschuldigen Sie meine Verspätung, Madam«, sagte er und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
Er sah tadellos aus. Sein tizianrotes
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