Die Plantage: Roman (German Edition)
entschlossen gewesen, mit dem Arzt offen über seine Vermutung zu sprechen. Aber jetzt konnte er es nicht. Es war ihm unmöglich, Reed des Mordes zu verdächtigen, weil er es einfach nicht wahrhaben wollte; es hatte mit seiner Vorstellung von Treue zu tun, mit Respekt und Dankbarkeit. Mit Angst vor Enttäuschung. Oh, mein Captain!
Endlich drehte er sich um. »Es war ein Mann auf einem Pferd. Mehr hat Javis nicht gesagt.«
»Na ja, vielleicht war es so.« Ingham nickte bedächtig, dann setzte er hinzu: »Oder aber Mr. Javis kannte den Mann und wollte deshalb nicht mehr sagen, auch das wäre möglich.«
»Können Sie sich vorstellen, Doktor, dass einer so was tut?«, fragte Quinn vorsichtig. »Ich meine, jemanden zu decken, der etwas so Entsetzliches getan hat?«
Ingham schüttelte den Kopf. »Ach mein Junge, Menschen tun oft Dinge, die sie sich selbst nicht erklären können. Wie soll da ein Außenstehender die Beweggründe eines anderen verstehen? Wer weiß, vielleicht war Mr. Javis mit diesem Reiter befreundet, oder er fühlte sich ihm verpflichtet? Aus irgendeinem Grund könnte ihm daran gelegen gewesen sein, einen Verdacht von ihm fernzuhalten.«
Quinn stand mit gerunzelter Stirn da. Als er Inghams Blick begegnete, nahm er seinen Hut und die Posttasche und steckte das Journal ein.
»Ich muss jetzt zurück, Sir. Wird spät genug, bis ich nach Elverking komme. Wenn Sie es wünschen, führe ich die Aufzeichnungen noch eine Weile fort.«
»Tun Sie das, Mr. Quinn. Versuchen Sie, die Krankheitsverläufe möglichst genau zu dokumentieren.«
»Sicher, Doktor. Allerdings werde ich nicht mehr lange dort sein.«
»Sie wollen fortgehen? Fürchten Sie das Fieber?«, fragte Ingham besorgt.
Aber Quinn konnte ihn beruhigen, der Grund seien die Differenzen mit Crossbow. »Sehen Sie, Doktor, ich habe ein gutes Angebot bekommen. Captain Reed schlug mir vor, die Pflege seiner Rennpferde zu übernehmen. Ein Spitzenjob, das müssen Sie zugeben! Bevor meine Arbeit auf Hollow Park beginnt, werde ich Ihnen natürlich das Journal mit den letzten Aufzeichnungen vorbeibringen.« Es klang geradezu schuldbewusst, als er hinzufügte: »Es tut mir leid, Sir, aber ich kann Ihnen nicht helfen, wenn ich in Captain Reeds Diensten stehe.«
»Tja, das ist schade. Ich wüsste nicht, auf wen ich mich so wie auf Sie verlassen könnte.«
»Ja dann.« Quinn setzte seinen Hut auf. »Auf Wiedersehen, Doktor.«
»Leben Sie wohl, Mr. Quinn.«
Wieder alleine in seiner Ordination, nahm Ingham wie so oft in den vergangenen Tagen die Mappe mit den alten Gutachten zur Hand. Er schlug einen Bericht auf, der vom 21. September 1777 datierte. Damals hatte er die Leiche einer Frau untersucht, die bei den alten Landungsbrücken im Fluss gelegen hatte. In der Obduktion wurden neben zahlreichen Verletzungen durch Schnitte und Messerstiche auch Strangulationsmale am Hals des Opfers festgestellt. In einem Bericht vom 12. Juni 1779 führte die Untersuchung einer männlichen Leiche zu einem ähnlichen Befund. Der Mann, ein junger Matrose eines Handelsschiffs, wurde tot in einem Speicherhaus bei den Docks gefunden. Wie die Leiche der Frau wies sein Körper schwere Schnittverletzungen auf, an denen er verblutet war. Um seine Kehle fanden sich ebenfalls auffällige Würgemale, doch der Tod war eindeutig nicht auf Strangulieren zurückzuführen gewesen.
Ingham nahm den letzten Obduktionsbericht hinzu. Die Autopsie von Prudence Fraser hatte ebenfalls Tod durch Verbluten ergeben. Die Leiche wies auch deutliche Würgemale auf, hervorgerufen durch ein Seil, mit dem die Hände der Toten in ihrem Genick gefesselt waren und das zusätzlich nach Art einer sogenannten Würgfessel um den Hals der Toten geschlungen war. Das Opfer musste sich beim Versuch der Gegenwehr selber stranguliert haben. Mehr als aufgrund der ähnlichen Verletzungen glaubte Ingham in der methodischen Art der Fesselung eine Verbindung zwischen den drei Mordfällen zu erkennen. Und ebenso wie die Verstümmelungen deutete die eigentümliche Fesselung der Opfer auf das absonderliche Wesen des Täters hin. Denn das stand für ihn fest: Es war ein und derselbe Täter, der einem grausamen Tötungstrieb folgte.
Genug, er brauchte jetzt eine Tasse Tee! Als er in die Küche hinunterkam, fand er den Raum verwaist. Die Hoftür stand offen, in dem kleinen Apothekergarten sang eine Amsel. Auf dem Esstisch standen die Reste einer Mahlzeit, benutztes Geschirr. Oftmals, wenn Ingham seine Arbeit unterbrach, um sich
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