Die Plantage: Roman (German Edition)
frischen Tee zu holen, saß um den Tisch eine Runde junger Leute, die lauthals diskutierten oder herumalberten. Ingham gefiel das studentische Leben in seinem Haus, der Trubel störte ihn nicht, auch wenn er in Kollegenkreisen seiner Haltung wegen als zu liberal galt. Nun, da die Köchin ausgegangen war, legte er selbst im Herd etwas Holz nach und setzte den Wasserkessel auf. Er spülte die Teekanne aus, tat Teeblätter hinein, nahm sich eine saubere Tasse vom Bord und setzte sich an den abgegessenen Tisch. Mit halbem Ohr lauschte er dem Summen des Kessels, während seine Gedanken zu der Toten von Elverking zurückkehrten.
Offiziell galt der Mordfall als gelöst. Die Voodoo-Sklaven hatten die Tat gestanden, bald würde der Schuldspruch gefällt und das Urteil vollstreckt, der Fall Prudence Fraser käme zu den Akten. Ingham hingegen glaubte nicht an die Schuld der Schwarzen, nur hatte er nichts in der Hand, um den Vorwurf gegen sie zu entkräften. Auch Quinn war von der Unschuld der Sklaven überzeugt. Er brachte einen neuen Tatverdächtigen ins Spiel, einen unbekannten Reiter, den Erlkönig aus Javis’ Fieberphantasien. Quinn schien mehr zu wissen, als er preisgab; ja er verhielt sich erstaunlich passiv, als vertraute er darauf, dass Ingham von allein die richtigen Schlüsse zog.
Ingham vermutete, dass Quinn den Reiter kannte, ihn aber aus persönlichen Gründen decken wollte. Als er sich heute mit Quinn unterhalten hatte, musste er unwillkürlich an das Gespräch mit Antonia Lorimer denken. Auch sie schien über den Fall mehr zu wissen, als ihr lieb war, aber sie äußerte sich widersprüchlich und wich ihm aus unerfindlichen Gründen aus. Über das Geständnis der Voodoo-Sklaven schien sie fasterleichtert, vielleicht weil sie hoffte, dass jemand anderes dadurch der Verdächtigung entging. Etwa jener geheimnisvolle Erlkönig? Ingham musste unbedingt herausfinden, wer sich hinter dieser Gestalt verbarg.
Nun konnte er Mrs. Lorimer nicht dazu befragen, sie hatte die Stadt wieder verlassen. Aber den jungen Quinn wollte er bei seinem nächsten Besuch auf Elverking ernsthaft ins Gebet nehmen – doch nein, er würde ihn gar nicht mehr dort antreffen! Quinn wollte ja in Reeds Dienste treten.
Als das Wasser kochte, nahm er den Kessel vom Feuer und goss den Tee auf. Er beobachtete das Aufwallen der Teeblätter, goss noch etwas heißes Wasser nach … und hielt inne. Wie hatte Quinn sich ausgedrückt: Es tue ihm leid, aber er könne ihm nicht helfen, wenn er in Captain Reeds Diensten stehe. Wieso tat es ihm leid? Oh, er hatte nicht die Malariastudie gemeint, nein, er entschuldigte sich, dass er Ingham in der Mordsache nicht helfen konnte! Quinn war Reeds Adjutant gewesen, und nun begab er sich wieder in dessen Dienst. Er war seinem Captain loyal ergeben und würde nichts tun, was Reeds Interessen zuwiderlief.
Mit dem Kessel in der Hand stand Ingham beim Herd. In der Halle tickte die Standuhr, sonst war das Haus vollkommen still. Langsam fügten sich die Teile für ihn zum Ganzen: Mrs. Lorimer versicherte, Reed habe das Haus in der Mordnacht nicht verlassen, während Mr. Quinn unmittelbar nach dem Leichenfund wieder in Reeds Dienste trat – Alibi und Flankenschutz, warum? Wer war dieser Reed? Ingham war ihm nie begegnet, es hieß, er sei ein Einzelgänger. Warum wollte Mrs. Lorimer sich seinetwegen kompromittieren? Und was zwang Quinn so unwiderstehlich in seinen Dienst?
Vor ein paar Jahren, im Sommer 1777, hatte Crossbow ihm von einem »Virginia-Mann« erzählt, der die große Plantage westlich von Elverking gekauft hatte. Im September desselben Jahres wurde die erste verstümmelte Leiche gefunden … WarReed der Erlkönig? Hatte er Prudence Fraser getötet, wie zuvor den Matrosen und die kleine Kellnerin? Oder gab es am Ende noch mehr Tote? Wie hatte Mrs. Lorimer gesagt: »Vielleicht wurden die anderen Leichen nur nicht gefunden.«
In den Kellern des Exchange, der britischen Zollbehörde am Charles Towner Hafen, befand sich der Kerker der Stadt, der berüchtigte Provost Dungeon. Zu den üblichen inhaftierten Schwerverbrechern wie Brandstiftern, Schmugglern und Piraten kamen seit der Besatzungszeit auch viele antiroyalistische Amtsträger und sonstige politisch missliebige Personen. Dabei diente der Dungeon gleichermaßen als Vollzugs- und Untersuchungsgefängnis. Im Volksmund hieß es, aus dem Dungeon hinaus führe der Weg über den Richtplatz.
»Besuchserlaubnis, erteilt von dem ehrenwerten Richter Jones und
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