Die Plastikfresser
tröstliche, vertraute Helle des U-Bahnhofs mit seinen Plakaten und weißen Kacheln hinter ihnen, und sie befanden sich in der dunklen, bedrückenden Atmosphäre des Tunnels. Die Luft war verhältnismäßig kühl, kühler als Gerrard erwartet hatte. Hatte er nicht irgendwo gelesen, daß die Installationen in der Tiefe das ganze Jahr über einer gleichmäßigen Temperatur ausgesetzt seien, kühl im Sommer und warm im Winter? Die Luft schien mit feuchtem Modergeruch geschwängert. Es herrschte ein starker, regelmäßiger Luftzug.
Holden behielt weiterhin die Führung und leuchtete gelegentlich ein Hindernis mit seiner Lampe an.
»Hier ist es wohl, glaube ich«, sagte Holden und blickte sich um. »Stimmt es, Herr Bahnhofsvorsteher?«
Der Bahnhofsvorsteher nickte atemlos. »Ja, dort drüben«, keuchte er und deutete auf die Tunnelwand.
Sie waren an einer Stelle angelangt, wo sich zwei U-Bahn-Linien kreuzten. Der eine Gleisstrang war allem Anschein nach schon seit langem außer Betrieb. Der Tunnel war bis zur Decke mit Ziegelsteinen zugemauert, eine Stahltür blockierte den Weg. Diagonal gegenüber liefen die Gleise in einen engen, offensichtlich unbenutzten Tunnel hinein. Im Gegensatz zu den glänzenden Schienen der Hauptlinie waren die des Nebengleises verrostet. Aus dem Tunneleingang strömte ein Hauch des Verfalls. Anne schauderte.
»Dort drüben.« Holden ging auf die Stelle zu, wo die Gleise gegen die leere Ziegelwand stießen. Neben der schweren Tür befand sich ein dickes Kabelbündel sowie einige gußeiserne Schaltkästen. Alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Sie bogen von der Hauptlinie ab, und der Bahnhofsvorsteher knipste über den Schaltkästen ein Licht an.
Slayter trat vor und berührte sehr vorsichtig mit der Spitze eines Bleistiftes die Isolation auf den oberen Kabeln. Als er den Bleistift zurückzog, haftete an seiner Spitze eine nasse, klebrige Masse. Er hob den Stift unter die Nase und schnupperte prüfend. Der Geruch erinnerte an verwesendes Fleisch – mit einem Beigeschmack von Ammoniak.
Gerrard nahm seine Umhängetasche von der Schulter, packte einige Probeflaschen aus und begann behutsam mit einem Nickelspaten Proben des geschmolzenen Plastikmaterials abzunehmen.
»Wie weit erstreckt sich das?« fragte Holden.
»Schwer zu sagen. Eine Gruppe von Streckenarbeitern untersucht das ganze Gebiet. Soviel mir bisher bekannt ist, scheint sich der Befall auf diese eine Kreuzung hier zu beschränken, aber genau läßt sich das nicht sagen.«
»Hören Sie mal«, sagte Anne. In einiger Entfernung war ein tiefes Grollen zu hören, das ständig anwuchs. Anne trat ängstlich einen Schritt zurück.
»Alles in Ordnung, Miß. Hier sind Sie ganz sicher. Das ist im anderen Tunnel.«
Das Grollen wurde lauter, und dann sahen sie die Lichter eines schnell heranbrausenden Zugs im Tunnel. Im nächsten Augenblick donnerte er an ihnen vorbei und hüllte sie in einen wirbelnden Luftzug. Die erleuchteten Wagenfenster zuckten vorüber, blendeten sie, das Rattern der Räder auf den Schienen erschütterte die Tunnelwände. Dann war der Spuk so schnell vorbei, wie er gekommen war. Die Geräusche erstarben wieder, zurück blieb nur die modrige Luft und der Lichtschein der Stablampe in der Dunkelheit
»Glauben Sie, daß es sich weiterfrißt?« fragte Slayter. »Ich meine, wenn die Isolation abfällt, dann kommt es doch zu einem Kurzschluß.«
»Sie sind doch der Sachverständige, oder?« sagte Holden etwas spöttisch.
Slayter verstummte und die beiden Männer blickten Gerrard an. Gerrard fühlte sich unbehaglich. Warum, zum Teufel, hatte er es nicht Wright überlassen, seine Probleme aufzuklären? Er wurde nun gefragt, sich zu einem Thema zu äußern, von dem er keine Ahnung hatte.
»Wir müssen erst diese Proben im Labor untersuchen, und dann versuchen wir, die Reaktionsrate dieser …«, er unterbrach sich, »… nun, was immer dieses Versagen hervorruft. Ich sehe keine unmittelbare Gefahr.« Er beschäftigte sich weiter damit, das weichgewordene Plastikmaterial mit dem Spaten in Lagen abzuheben und in die Probeflaschen abzustreifen. Er versiegelte die Flaschen sorgsam und steckte sie in seine Umhängetasche. Anne zog eine kleine automatische Kamera hervor und machte Blitzlichtaufnahmen von der geschmolzenen Isolation und der Umgebung.
»Ich fürchte, ohne Erlaubnis werden Sie nichts veröffentlichen dürfen«, sagte Holden.
»Diese Fotos sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt, wir versuchen nur,
Weitere Kostenlose Bücher