Die Plastikfresser
Getränke verteilte. Als er den Gesichtsausdruck des Mädchens sah, eilte er sofort zu ihr.
»Er ist einfach verschwunden«, sagte sie nervös. »Ich hab’s gesehen. Ich habe überhaupt nichts gemacht. Hier, schau!«
Der Chefsteward blickte nachdenklich auf die Pfütze. »Hast du Nagellackentferner verschüttet oder sonst was?«
»Nein. Ich sag dir doch, es ist von ganz allein passiert. Er ist einfach geschmolzen.«
Der Chefsteward betastete die Pfütze: »Ist das auch mit noch ein paar anderen Bechern passiert?«
»Nein, ich glaube nicht …«
»Dann wisch’s ab und vergiß es!«
In der Kanzel tauschte der Flugingenieur den Stabilisator aus und formulierte einen Logbucheintrag mit der Beschreibung des Vorfalls.
In dem neuen Aggregat fand Mutant so frische Nahrung.
Eine Dame kehrte von der Toilette zu ihrem Sitz zurück und griff nach ihrer Handtasche, die sie auf dem Boden stehen hatte. Als sie die Tasche unter dem Sitz hervorziehen wollte, streckte sich der Handgriff wie ein schlappes Gummiband, riß und blieb ihr an der Hand kleben. Sie schimpfte und griff von neuem nach der Tasche, dann klingelte sie nach dem Steward.
»Sie wünschen, gnädige Frau?« sagte er, als er sich zu ihr hinunterbeugte.
»Haben Sie hier eine Heizung unter den Sitzen?«
»Wie bitte?«
»Hier – sehen Sie sich das an!« Sie gab ihm den abgerissenen Handgriff. »Ich habe meine Tasche unter den Sitz gestellt, und nun sehen Sie sich das an: alles geschmolzen!«
»Es tut mir leid, gnädige Frau. Aber es befindet sich keine Heizung im Passagierraum. Die Tasche ist vielleicht nicht mehr ganz neu; Plastik ist nicht unbegrenzt haltbar.«
»Aber ich bitte Sie! Meine Tochter hat mir die Tasche erst vor ein paar Wochen geschenkt.«
»Gnädige Frau, ich werde dafür sorgen, daß unsere Gesellschaft Ihnen die Tasche ersetzt, sobald wir New York erreichen«, sagte er mit charmantem Lächeln.
Besänftigt lehnte sich die Dame in ihrem Sitz zurück. Der Steward nahm ihr den Handgriff ab und sagte: »Ich darf das für Sie entfernen, gnädige Frau?« Nachdenklich trat er in die Kombüse.
Im Cockpit beobachtete der Flugingenieur zwei Skalenanzeiger mit der Bezeichnung ›Kraftzuleitungs-Ausgleich‹. Er las die Meßwerte ab, lehnte sich zurück und nahm ein zerlesenes Taschenbuch zur Hand. Über ihm nährte sich Mutant 59 vom Gewirr der farbigen Drähte im Stabilisator und vermehrte sich lawinenartig.
Ein Draht war bereits nackt bis auf den Kern, ein Kurzschluß folgte, hundert Ampere jagten durch Drähte, die nur für eine Stromstärke von zwei Ampere gedacht waren.
Die Explosion wurde von einem Ausstoß ätzenden Rauches begleitet. Der Flugingenieur sprang erschrocken von seinem Sitz auf und prallte dem Copiloten so heftig in den Rücken, daß dieser vornüber gegen die Steuersäule fiel.
Augenblicklich senkte die Maschine ihre Nase nach unten. Die
Passagiere schreckten zusammen, als sie plötzlich das Gefühl hatten, der Boden unter ihren Füßen gebe nach.
Der Copilot richtete sich sofort wieder auf und zog die Steuersäule zurück; das Flugzeug richtete seine Nase wieder himmelwärts, und die Passagiere atmeten erleichtert auf. Der Captain tastete nach einem kleinen Fach mit dem Schild ›Rauchschutzbrillen‹ und holte die durchsichtigen Augenschützer hervor. Immer noch drang Rauch aus dem zerstörten Gerät und erfüllte das Cockpit. Der Copilot stellte die Entlüftung auf volle Kraft.
Howard zog das Bordmikrofon zu sich herab und sprach mit wohlberechneter Stimmlage: »Hier ist Captain Howard. Unsere Flughöhe beträgt im Moment einunddreißigtausend Fuß, etwa neuntausendvierhundert Meter, wir haben zur Zeit starken Gegenwind, wodurch sich unsere Ankunft um etwa fünfunddreißig Minuten verzögern wird. Da wir Turbulenzen zu erwarten haben, müssen wir sie leider bitten, Ihre Sitze einzunehmen und sich anzuschnallen. Danke!« Er schaltete ab und die roten Anschnallzeichen leuchteten auf.
Das plötzliche Absacken des Flugzeugs hatte Kramer aufgeweckt. Er drehte sich in seinem Sitz, um wieder eine bequeme Stellung einnehmen zu können. Seine Knie stießen dabei gegen das Klapptischchen, das von der Rücklehne des Vordersitzes herunterhing. Als er sich vorbeugte, um es zurückzuklappen, sah er die Kante. Der Rand war aufgeweicht und geschmolzen, ein dicker, klebriger Faden tropfte auf sein Hosenbein und hinterließ dicht über seinem Knie einen schillernden grauen Fleck. Kramer blickte sich vorsichtig um, ob der Fluggast
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