Die Poison Diaries
den heutigen Tag nichts schreiben. Der Apothekergarten und alles darin muss ein Geheimnis bleiben.
Habe ich schon erwähnt, dass das Wetter schön ist?
D er Schlüssel zum Apothekergarten hängt an einem großen Schlüsselring, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Vater zieht ihn mit einer geübten Bewegung aus der Westentasche.
Weed und ich stehen hinter ihm. Die Morgenluft verspricht einen warmen Tag, aber Weed scheint wie erfroren. Ich vermute, dass er sich gegen all das Übel gestählt hat, das er in dem Garten vorzufinden glaubt. Mit einer kalten, ausdruckslosen Haltung will er dem gefürchteten Angriff auf seine Person begegnen. Wie befremdend es ist, so nah bei ihm zu stehen und kein Zeichen der Zuneigung zu erkennen, keinen Hinweis auf das, was gestern zwischen uns war!
Bald
, denke ich.
Schon bald werden wir wieder allein sein, und dann ist endlich die Zeit für ehrliche und wahrhaftige Worte gekommen.
Vater steckt den Schlüssel ins Schloss und dreht ihn um, bis sich das Schloss mit einem leisen Klicken öffnet. Er schüttelt die schwere Kette ab und lässt sie zu Boden gleiten. Auf einen sanften Schubs hin schwingt das hohe schwarze Tor geräuschlos auf.
Endlich! Am liebsten hätte ich vor Freude gejubelt, aber ich wage es nicht. Vor uns liegen Düsternis und Gefahr. Weed steht mit starrem Gesicht neben mir.
»Kommt herein. Habt keine Angst.« Vater bedeutet uns, ihm zu folgen.
Meine gute Laune verleiht mir den Mut, Vater zu necken. »Aber gerne, doch willst du uns nicht ermahnen, nichts anzufassen?«
Er lächelt schwach. »Ich dachte, das wüsstest du mittlerweile.«
Während wir eintreten, scheint die Luft deutlich kälter zu werden, als ob sich eine Wolke vor die Sonne geschoben hätte. Weed erschauert, aber er will nicht zurückfallen, und so gehen wir gemeinsam weiter.
Erregung durchfährt jede Faser meines Körpers. Ist es, weil Weed mir so nah ist, oder weil ich endlich, nach Jahren des Wartens und Flehens, in dem verbotenen Garten stehe? Nein, es lässt sich nicht trennen: Weed ist bei mir; vor mir liegt der Garten. Mein Herz pocht heftig; alles scheint zu sein, wie es sein soll.
Und doch – als ich mich umschaue, muss ich zugeben, dass der Apothekergarten sich kaum von den anderen Gärten unterscheidet. Oberflächlich betrachtet. Da ist der Duft der fruchtbaren Erde, die grünen Pflanzen, die stumm in ihren Beeten wachsen, das sanfte Summen der Bienen, die ihre Kreise ziehen.
Vater geht voraus. Auch er scheint voller Erregung zu sein. In seinem Schritt liegt eine Energie, die ich nicht oft an ihm sehe. »Mein Ziel ist es, die Pflanzenfamilien bestmöglich beieinander zu halten, basierend auf wissenschaftlichen Prinzipien«, erklärt er. »Weed, kennst du das Werk von Carl Linnaeus? In seiner
Systema Naturae
hat er alle Pflanzen in Arten und Gruppen eingeteilt.«
Weeds Augen zucken umher, durchdringen jeden Winkel. »Wenn er nicht zufällig in Pratts Irrenhaus war, hatte ich noch nicht das Vergnügen«, erwidert er.
Vater lächelt schief. »Einige halten ihn für den größten und wichtigsten Botaniker des Jahrhunderts. Ich denke, seine Arbeit ist nützlich, obwohl zukünftige Generationen sie zweifellos als primitiv erachten werden. Ich kann es dir erklären, wenn du möchtest.« Er beschreibt mit dem Arm einen Halbkreis. »Du musst bedenken, dass mir hier bestenfalls eine Art Annäherung an das Ideal eines botanischen Gartens gelungen ist, was allerdings an der ungewöhnlichen Natur meiner Sammlung liegt. Hier wachsen viele Pflanzen, die aus den entferntesten Winkeln der Welt stammen. Trotz all meiner Forschungen und Bemühungen ist mein Wissen über ihre Verwandtschaft, ihre Beziehung untereinander, mehr als lückenhaft. Vielleicht kannst du mir hier weiterhelfen, Weed.«
Vater erwartet keine Antwort. »Beginnen wir an der östlichen Mauer. Dort wachsen Pflanzen, die du vielleicht kennst. Einige sind hier in England heimisch, andere wurden vor über einem Jahrhundert aus den Kolonien mitgebracht – aus den Vereinigten Staaten, wie man jetzt wohl sagen muss. Diese Pflanze, zum Beispiel. Erkennst du sie?«
»Engelstrompete«, haucht Weed. »Die Pflanze der mannigfachen Träume.«
Vater betrachtet ihn mit scharfem Blick. »Träume, ja – manche würden es Halluzinationen nennen. Engelstrompete, auch bekannt als Datura. Man behauptet, dass die Bezeichnung Datura von einem Hindu-Wort kommt, das Stechapfel bedeutet, aber vermutlich weißt du das bereits.«
Weed presst beide
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