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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryrose Wood
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war. Aber trotzdem … ich schäme mich es zuzugeben, doch ich empfinde eine Art Erleichterung bei dem Gedanken daran, dass Jessamine mit Sünde befleckt sein könnte. Denn auch ich habe getötet. Auch ich bin verdammt.
    Die Menschen haben ganz bestimmte Vorstellungen von Strafe und Vergebung, und vieles davon begreife ich nicht, genauso wenig, was mit Sündern geschieht, wenn sie sterben. Ich wünschte, Jessamine wäre hier, um es mir zu erklären, denn die Pflanzen kennen weder Himmel noch Hölle. Sie sprechen über das Kommen und Gehen der Jahreszeiten und davon, dass jeder Frühling ein neuer Anfang ist.
Verzweifle nicht
, sagen sie,
denn der Garten, der jetzt kahl und tot ist, kann im nächsten Jahr schon reiche Früchte tragen.
    Können Jessamine und ich ebenfalls wieder neu anfangen, irgendwann? Ich weiß es nicht, aber während ich noch hier stehe, an Deck des schaukelnden Schiffes, und zuschaue, wie die Morgensonne den Nebel auflöst und am Horizont die Dächer von Venedig auftauchen, verfluche ich die Pflanzen, weil sie mir diesen Gedanken eingegeben haben. Denn er erfüllt mich mit einer schmerzenden Sehnsucht. Er erfüllt mich mit einer quälenden Hoffnung.
    ***
    In Venedig gehe ich von Bord und lasse mich von dort aus von einer Barke durch den Brenta-Kanal zum Hafen von Padua fahren. Luxtons Anweisungen folgend, durchschreite ich das Tor in der uralten Stadtmauer und miete mir eine Gondel, die mich durch die Kanäle zum
Orto botanico
bringt, der Heimstatt des größten existierenden Wissensschatzes über die Macht der Pflanzen.
    Als die Universität in Sichtweite kommt, brauche ich nicht mehr nach dem Weg zu fragen, denn der Garten summt mir sein Willkommen entgegen. Ich werde von einem vielstimmigen Chor empfangen, so reich und bunt, wie ich es noch nie erlebt habe, der mich auf eine Art und Weise zu sich befiehlt, die keinen Widerspruch duldet. Es ist ein herrlicher Lärm, brausend und wunderschön. Wie der Schlachtengesang von Engeln.
    Der Garten ist groß und kreisförmig angelegt. Die Steinmauern, die um seinen Rand verlaufen, sind so hell wie ausgebleichte Knochen. Mit gesenktem Kopf gehe ich außen an der Mauer entlang, lasse ein Tor nach dem andern hinter mir und versuche, mein rasendes Herz zu beruhigen.
    Am Osttor befindet sich ein großer Springbrunnen. Dort mache ich Rast, denn die kühle Gischt des Wassers lindert den Aufruhr in meinem Herzen. Ich spüre die Stimmung dieses Ortes, die so ganz anders ist als in Thomas Luxtons Schreckensgarten. Die Pflanzen hinter dieser gebogenen Mauer sind genauso mächtig, aber dieser Garten wünscht nur zu heilen.
    Gereinigt und erfrischt durch das Wasser des Brunnens, scheine ich würdig zu sein. Die Einladung kommt als brausendes Lied aus bedeutungslosen Silben, die mich zum Eintreten auffordern.
    Ba-li-oh-ni.
    Ich hole tief Atem, sammle all meinen Mut und trete ein.
    Hinter dem Tor und der Mauer erwartet mich eine geordnete Welt. Hier herrschen Geometrie und Gleichgewicht. Die Pflanzen nicken mir wie alte Freunde zu und singen ihr brausendes Lied, als sei es die Antwort auf all meine Fragen.
    Ich verliere mich in der Ordnung und Anlage des Gartens. Ich habe einen langen und gefahrvollen Weg hinter mir, aber jetzt, da ich hier bin, fühle ich mich aufgesogen in der Anmut und der Kraft der Pflanzen. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
    »Bitte«, flüstere ich einem Beet voller Veilchen zu. »Ich brauche eure Hilfe.«
    Ba-li-oh-ni
, singen sie.
    »Ich suche meine Liebste – Jessamine – und kann sie nirgends finden. Könnt ihr mir helfen?«
    Ba-li-oh-ni.
    Verzweifelt sinke ich zu Boden. Was muss ich tun, um das Vertrauen dieses Gartens zu gewinnen und mich seiner Hilfe zu versichern? Ich lege meine Wange auf die feuchte Erde des Beets und schließe meine Augen, um dem Klang des Liedes zu lauschen.
    Ba-li-oh-ni.
    Ba-li-oh-ni.
    »Sie da! Aufstehen! Was machen Sie hier?«
    Ich reiße die Augen auf und sehe jemanden vor mir – eine Frau, aber wie ein Mann gekleidet in Stiefel, Hosen und eine Lederschürze. Ein breitkrempiger Hut schützt ihren Kopf und ihr Gesicht vor der Sonne. In einer Hand hält sie einen Spaten wie eine Waffe und in der anderen einen Weidenkorb mit ausgerupftem Unkraut. Auf ihrem Gesicht prangen Schmutzflecken.
    »Ich sagte: Aufstehen! Hier ist nicht der richtige Ort für ein Nickerchen. Ihr Studenten bringt mich noch mal ins Grab!« Sie beugt sich vor und schnüffelt. »Sind Sie betrunken?«
    Ich rappele mich auf die Füße.

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