Die Poison Diaries
eine vollkommene Rose. Sie ist schön – die Frau, meine ich – das muss ich schon sagen. Sie sieht dir sogar ziemlich ähnlich …
In dem Glauben, meine Tränen seien ein Zeichen der Rührung und Dankbarkeit für seinen Vorschlag, küsst mich Rye.
»Dann kommst du mit? Ja?«
Mach schon, Liebchen. Umgarne ihn mit deinen zarten Lügen, bedecke ihn mit den Schwingen der Liebe. Gehorche mir, und ich werde dich am Schluss belohnen, wie ich es versprochen habe. Wenn Weed dich wahrhaftig liebt, dann wird er dich auch haben wollen, wenn du … nun … ein wenig besudelt bist. Und du weißt doch, wie amüsant ich dergleichen finde …
»Ja.« Ich schlinge meine Arme um Ryes Hals und ziehe ihn zu mir. »Ja. Ich komme mit dir.«
Das Glück breitet sich wie die Morgendämmerung über Ryes Gesicht aus. »Und jetzt besiegele unser Abkommen mit einem Kuss.«
Er küsst mich, und dabei bleibt es nicht. Er ist ein erwachsener Mann und weiß mit Frauen umzugehen. Und ich bin kein unschuldiges Lämmchen mehr.
Ist die Einsamkeit auch eine Art Liebe? Oder die Verzweiflung? Ich weiß es nicht, aber beide stoßen die Tür zur Leidenschaft auf. Vielleicht liegt es an dem kleinen Funken Eifersucht und dem Schatten des Zweifels, die Oleander in mein Herz gepflanzt hat. Jedenfalls empfinde ich nur ein kurzes Bedauern darüber, dass ich nicht standhaft bleibe. Denn mir ist so kalt, in jeder Faser meines Körpers, und Rye wärmt mich. Seine Leidenschaft ist ein Feuer, das meinen Schmerz zu Asche verbrennt.
Es ist genau die Art von Vergessen, die ich brauche.
***
Er rührt sich lange vor Tagesanbruch und streckt die Hand nach mir aus.
»Wenn wir nach Irland kommen, will ich, dass du mich heiratest, Rowan«, sagt er schlaftrunken. »Sag, dass du mich willst.«
»Das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Sag es noch mal.«
»Ich will dich. Jetzt schlaf weiter.« Er grunzt und rollt sich auf den Rücken.
Zeit zu gehen, Liebchen.
Ich habe keinerlei Geld mehr – wie soll ich von hier wegkommen?
Schau in die Taschen des Pferdehändlers. Und sorg dafür, dass er bis lange nach Sonnenaufgang schläft. Ich will nicht, dass er dir folgt.
Leise schlüpfe ich aus dem Bett und gehe zu meinem Beutel mit den Kräutern. Mein Herz hämmert. Ich arbeite still und geschickt.
Ich warte, bis ein leises Schnarchen Rye den Mund öffnet. Als die süßen Tropfen an seiner Zunge vorbeifließen, rührt er sich. Schnell verschließe ich ihm die Lippen mit einem Kuss. Gleich darauf verwandelt sich sein schläfriges Grummeln in verlangendes Murmeln. Seine Finger wandern zu meinen Hüften, und seine rauen Hände schieben mir das Kleid nach oben.
Ich küsse ihn noch einmal. Er stöhnt auf – und dann fällt er schwer auf das Kissen, wie eine tote Last. Er wird noch stundenlang schlafen.
Ich durchwühle seine Taschen und finde ein dickes Bündel Banknoten, das mit einer Schnur zusammengebunden ist. Ich bringe es nicht über mich, ihn völlig auszurauben. Ich ziehe einen Geldschein heraus und stecke den Rest zurück.
Ich sollte mich beeilen, aber ich nehme mir die Zeit, um sein dickes, rotbraunes Haar zurückzustreichen und seine mit Bartstoppeln übersäte Wange zu liebkosen. Im Schlaf wirkt er jünger, weicher. Weniger wie der zynische Schmuggler und mehr wie der vertrauensselige Liebhaber.
Wenn er später am Morgen aufwacht und merkt, dass ich fort bin … aber daran darf ich jetzt nicht denken. Ich muss fliehen, muss mich immer weiter von mir selbst entfernen. Aber wohin mich das führen wird, weiß ich nicht.
Kapitel 10
D ie Reise hat lange gedauert, und erst zum Ende hin kann ich an Deck des Schiffs stehen, ohne dass es mir den Magen umdreht und mir die Galle hochkommt.
Ich bin begierig, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Auf See gibt es zwar keine plappernden Wiesen, keine nervtötenden Bäume und keine Äcker mit kleinkariertem, hochnäsigem Getreide. Aber die Algen, die wie ein blutrotes Laken auf den Wellen treiben, summen wie ein ganzer Bienenschwarm. Das Surren und Dröhnen hört nie auf.
Schlimmer noch ist das Warten, denn an Bord eines Schiffes kann ich rein gar nichts ausrichten. Doch jetzt hat die Warterei ein Ende. Schon bald werde ich meine Suche nach Jessamine wieder aufnehmen können, und diesmal, so hoffe und bete ich, mit Erfolg.
Nachdem ich die brennenden Überreste von Hulne Abbey hinter mir gelassen habe, bin ich von einer Stadt zur anderen geirrt, habe mich aber meistens abseitsgehalten, denn ich sah
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