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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Reisender zufällig eine wichtige Entdeckung macht. Kein reizloser Gedanke.
    Er fährt zurück nach Castro Daire, diesmal bergauf, und auf dieser Seite der Serra de Montemuro ist die Landschaft ganz anders, dürr, wieder die barrocos , Gestrüpp, der grau daliegende Knochen des Gebirgszuges. Innerhalb von einem halben Dutzend Kilometern hat die Welt ihr Gesicht komplett verändert.
    Manchmal gerät der Reisende in die durchaus gutgemeinte Versuchung, die Reise zu Fuß zu machen, mit Rucksack, Wanderstab und Feldflasche. Das sind Erinnerungen an die Vergangenheit, dem muss man keine große Beachtung schenken. Aber sollte er sich tatsächlich dazu entschließen, dann wären die Namen, die er hier nennen würde, andere, und jetzt wäre er von der Ermida zum Picão hinaufgewandert, dann nach Moura Morta oder nach Gralheira und Panchorra, oder nach Bustelo, Alhões und Tendais, Orte, durch die er letztlich nicht kommen wird. Aber auch die Namen der Orte, durch die er kommt, sind nicht schlecht: Mezio, Bigorne, Magueija, Penude, und beim ersten Halt auf dieser Strecke ist er in São Martinho de Mouros.
    Der Reisende ist auf der Suche nach der örtlichen Pfarrkirche. Sie liegt am Rand, dem Tal zugewandt, und so, wie sie dasteht, den Winden ausgeliefert, stellt man fest, dass sie eher einer Festung gleicht als einer Kirche. Mit ihrer soliden Tür und den robusten Riegeln hätte man die Mauren in die Flucht geschlagen, so wie es Fernando Magno, der König von Leon, 1057 getan hat, hundert Jahre bevor Portugal überhaupt existierte. Der Beweis dafür, dass diese Kirche sowohl als Festung als auch als Gotteshaus konzipiert war, sind die dicken, kahlen und verstärkten Mauem, die nur wenige Öffnungen aufweisen. Und der Turm, der oben hinter der vertikalen Fassade steht und offen nach allen vier Himmelsrichtungen hin ist, wäre dann ein Wachturm gewesen. Um ihn überhaupt sehen zu können, und auch das gelingt nicht ganz, muss der Reisende weit zurück an den Rand des Platzes gehen. Dieser Turm stand da nicht zum Spaß.
    Eine Kirche wie diese hat er noch nie gesehen. Die erklärte Strenge romanischer Vorgaben ließ also noch reichlich Raum für eigene Erfindungen. Diesen Turm dort oben hinzustellen und die strukturellen Probleme zu lösen, die das implizierte, die einzelnen Lösungen mit dem Gesamtbild in Einklang zu bringen, ein ästhetisches Ganzes zu schaffen (sodass man es auch heute noch wundervoll finden kann) bedeutet, dass dieser Baumeister sehr viel mehr Trümpfe im Ärmel hatte als die meisten Architekten seiner Zeit. Und als der Reisende hineingeht, sieht er mit großen Augen, wie der Turm von innen gestützt wird: nämlich von Säulen, die gleich hinter dem Eingang stehen und eine Art nach innen gewandter Galerie bilden, was einen einzigartigen plastischen Effekt bewirkt. Kunstwerke sind nicht viele vorhanden. Zwei Tafelbilder mit Stationen aus dem Leben São Martinhos, eine überdimensionale Jesusfigur, doch sonst kaum etwas, abgesehen von den volkstümlichen Heiligenbildern, die hoch oben Staub und Spinnweben ansetzen. Der Reisende ist erbost über eine derartige Nachlässigkeit. Wenn man in São Martinho de Mouros solch einfache Dinge nicht zu schätzen weiß, möge man sie einem Museum geben, wo man sie dankend annähme. Als der Reisende hinausgeht, trifft er auf eine Frau, die zufällig in dieser Einöde unterwegs ist, und schleudert ihr all seinen Ärger entgegen, mit dem Hinweis, dass man diese Bilder doch unbedingt vor Diebstahl schützen müsse. Nur der Reisende weiß, wie schwer es war, der teuflischen Versuchung zu widerstehen, die ihn in dieser einsamen Kirche ein weiteres Mal überkam. Er jagt der Frau einen derartigen Schrecken ein, dass inzwischen wohl rund um die Kirche ein Sicherheitszaun errichtet wurde und man das Gelände nur nach einer Gewissenskontrolle betreten und nach gründlicher Taschenkontrolle wieder verlassen darf.
    Aber São Martinho de Mouros hält noch andere Versuchungen bereit. In Ermida de Paiva war nicht genug Platz für alle, also kamen sie hierher, angetrieben von den Gebeten der Mönche, als Verkörperung der irdischen Träume der Augustiner, die dort an den Ufern dieses wunderschönen Flusses Enthaltsamkeit predigten. In den Schnitzereien des Retabels ist der weibliche Körper in einer athletischen, fast Rubens’schen Opulenz dargestellt. Hier werden die Brüste der Frau weder versteckt noch verflacht, sie sind eindeutig nach vorn gerichtet, modelliert, umrandet und farbig

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