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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Mann mit dem Schlüssel ist der Pater von Ferreirim, der sich mit Engelsgeduld die zornigen Anschuldigungen des Reisenden über das angebliche oder tatsächliche Verschwinden von Bildern hat anhören müssen. Damit ist auch sein kunsthistorisches Wissen erklärt. Alles ist erklärt, aber nichts besprochen. Der Reisende verabschiedet sich, nachdem er eine Spende für die Kirche dagelassen hat, um so den Pater das Ärgernis vergessen zu lassen. Dieser hat ihm außerdem empfohlen, nach Ucanha zu fahren, das gleich in der Nähe liegt. Man stelle sich vor: keine Tonsur, keine Spur von einer priesterlichen Tracht. Wenn das so weitergeht, trifft der Reisende demnächst auf Petrus mit dem Kirchenschlüssel und erkennt ihn nicht.
    Ucanha ist nur einen Katzensprung entfernt. Es liegt am rechten Ufer des Varosa, und direkt am Fluss steht auch der Turm, für den es berühmt ist. Man sieht auf den ersten Blick, dass er ein für dieses Land untypisches Bauwerk ist. Das vierseitige Dach, die hohen, von Konsolen gestützten Balkone aus Stein, die Treppe mit Geländer zum Fenster, der niedrige Bogen am Eingang, die Robustheit des Ganzen, all das sind Charakteristika, die man alle auf einmal bei mittelalterlichen Bauten in Portugal nicht findet. In Italien muss man sich über so einen Turm nicht wundern. In Portugal hingegen kommt er einer Riesenüberraschung gleich. Der Reisende ist von hier unten ganz verliebt in die herrliche Figur einer gekrönten Jungfrau mit Kind auf dem Schoß, die in einer Nische steht und durch ein Eisengitter geschützt ist, und er ist voller Dankbarkeit gegenüber dem ungerecht behandelten Pater von Ferreirim, der ihn hierhergeschickt hat. Ein Ort, der seine Söhne in Ehren hält, wie man an dieser Inschrift auf einer Steintafel sieht, der zufolge hier Leite de Vasconcelos geboren wurde, ein bedeutender Ethnograph, Philosoph und Archäologe, dessen Werke heute noch grundlegend sind. Als er von hier fortging, war er noch keine achtzehn Jahre alt und konnte lediglich eine Grundschulbildung sowie ein paar Französisch- und Lateinkenntnisse vorweisen. Was er außerdem hatte, so jedenfalls stellt es sich der Reisende vor, war der Auftrag, den er im Schatten des Turmes erhielt, unter dem Bogen, der zum Fluss zeigt, als er seine Hände auf den zerfurchten Stein legte: die Suche nach den Wurzeln.
    In Salzedas sucht man nach dem Kloster, und plötzlich steht es direkt vor einem. Der Reisende parkt im Schatten eines riesigen Bauwerks, das bis in den Himmel zu ragen scheint, eine so hohe Kirche hat er noch nie gesehen. Wahrscheinlich ist das eine Reaktion seiner Augen, die sich gerade an dem trotz seiner Gewaltigkeit ungewöhnlich harmonischen Turm von Ucanha ergötzen durften, aber der Reisende hat die Dinge zu nehmen, wie sie sind, und muss versuchen zu verstehen, warum sie so sind. Und das tut er auch in Salzedas, wo er insgesamt nicht viel zu sehen bekommt, denn es gibt nicht viel zu sehen, abgesehen von den angeblich von Vasco Fernandes stammenden Werken, vor denen er immerhin einige Zeit verweilt. In der Kirche findet gerade eine Hochzeit statt, mit dem Brautpaar, dem Pater, der sie traut, und den Gästen, die, da das Kirchenschiff ziemlich groß ist, insgesamt doch nur eine kleine Gruppe bilden. Die Schritte des Reisenden geben kaum ein Echo ab, der Pater murmelt, und am lautesten ist das Geschrei der Kinder, die draußen spielen.
    Dass der Reisende Träumereien zugeneigt ist, haben wir schon gesehen. Hier wird geheiratet, aber der Reisende stellt sich eine ganz andere Hochzeit vor, zwei Menschen, die ganz allein hereinkommen und durch die Kirche wandeln, ohne einen Pater oder den Segen zu suchen, allein von dem mit Gewölben bedeckten, großen Raum angezogen, die, egal ob sie niederknien oder nicht, ob sie beten oder nicht, sich am Ende die Hände geben und als Mann und Frau wieder hinausgehen. Genauso gut hätten sie einen hohen Berg besteigen oder unter dem Turm von Ucanha vorbeigehen können und wären allein dadurch getraut worden. Der Reisende verliert sich in diesen Gedanken, er verpasst die ganze Zeremonie, und als er wieder zu sich kommt, ist er allein. Draußen ist der Lärm der Motoren zu hören und das Geschrei der Kinder, wahrscheinlich regnet es gerade Bonbons, und der Reisende ist traurig, dass ihn niemand eingeladen hat, wo er doch so schöne Gedanken hegt.
    Als er hinausgeht, ist niemand mehr da. Die Brautleute sind weg, die Kinder sind weg, hier hat er nichts mehr zu erwarten. Aber da irrt er

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