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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Melancholie der eigenen Vergangenheit – im Grunde ist nur die kollektive Vergangenheit aufregend. Noch einmal an den Fluss zu gehen lohnt nicht – es ist nicht einmal ein sauberer Toter. Weiter flussabwärts, bei der Mündung in den Tejo, wird das Wasser scheinbar klarer, aber nur deshalb, weil es über flachen, sandigen Grund fließt. Diese Stelle wird Rabo do Cágado genannt, »Schlammschildkrötenschwanz«, passender könnte kein Name sein, so augenfällig ist die Ähnlichkeit und noch augenfälliger auf der Karte, die der Reisende sich ansieht, nicht um sich zu orientieren, sondern um sich besser zu erinnern. Die Namen haben alle einen geheimnisvollen Beiklang, wie Losungen, die einmal die Türen zur Entdeckung der Welt geöffnet haben: Cerrada Grande, Lagareira, Olival da Palha, Divisões, Salvador, Olival Basto, Arneiro, Cholda, Olival d’El-Rei, Moitas. Es ist ein gewöhnlicher Ort, dieses erste Zuhause des Reisenden. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
    Santarém ist eine eigenartige Stadt. Ob die Menschen auf der Straße oder alle in den Häusern sind, immer wirkt es verschlossen. Zwischen dem alten Teil und den neueren Vierteln scheint keine Verbindung zu bestehen, jeder Teil liegt dort, wo er gebaut wurde, und wendet dem anderen den Rücken zu. Der Reisende räumt auch hier wieder ein, dass das eine subjektive Ansicht ist, doch die Fakten widerlegen sie nicht, oder anders gesagt, der Mangel an Fakten bestätigt sie: In Santarém kann nichts geschehen; es könnte ein zweites Dornröschenschloss sein, wenn man wüsste, wo man nach Dornröschen suchen sollte.
    Aber Santarém hat die Portas do Sol, mit denen es sich zur Ferne hin öffnet. Öffnen könnte, fügt der Reisende zweifelnd hinzu. Denn das herrliche Panorama, der weite Blick über den Fluss und die Felder von Almeirim und Alpiarça betonen noch das Gefühl der Isolation, der Distanz, fast Abwesenheit, das man in Santarém empfindet. Nur gut, dass ein einfacher Schornstein eine verschlossene Stadt plötzlich menschlicher, wärmer machen kann: Auf dem Weg nach Portas do Sol, in einer wohl tausendmal nicht beachteten Senke, befindet sich auf einem Schornstein eine Frauenfigur, die ihre merkwürdig geformten Brüste der Sonne darbietet, elementare Brüste in Scheibenform, eine nach Kenntnis des Reisenden einmalige Darstellung.
    Davon etwas getröstet, lässt sich der Stadt ein Besuch abstatten, nicht dem Museum São João de Alpalhão, das heute geschlossen ist (wogegen nichts zu sagen ist, an diesem Wochentag ist es immer geschlossen, oder es gibt einen anderen Grund), dafür aber der Igreja da Graça. In der Kirche herrscht Kälte, wie frische Restaurierungen sie erzeugen. Neuer Stein stößt an alten Stein, und sie passen nicht zusammen. Dafür ist die herrliche Rosette über dem Portal sehenswert, sowie dieses selbst, in reiner Spätgotik, deutlich an Batalha angelehnt, doch ohne dessen Reichtum an Pilastern und Archivolten. Der Boden des Kirchenschiffs liegt um einiges tiefer als die Straße, ein Effekt, den man selten in portugiesischen Kirchen findet. Es gibt zahlreiche Grabplatten, Mausoleen, Gedenktafeln, darunter eine für Pedro Álvares Cabral, den Entdecker Brasiliens. Anschließend geht der Reisende zur Igreja de Marvila: ein schönes manuelinisches Portal, interessante Azulejos aus dem 17. Jahrhundert. Da gerade eine Messe stattfindet, sieht er sich, so gut es geht, um und wendet sich dann behutsam zum Ausgang, um die Anwesenden nicht zu stören. Nicht weit davon steht die Igreja da Misericórdia mit ihrem Wald von verzierten Säulen, der wie Schmuck wirkt – die Kirche besteht aus scheinbar drei Schiffen, genau genommen jedoch ist es ein einziger großer Raum, dessen Gewölbedecke auf sehr hohen Säulen ruht.
    Heute begnügt der Reisende sich mit allgemeinen Eindrücken, der Sinn steht ihm nicht nach Einzelbetrachtungen. Dennoch verweilt er etwas in der Kirche des Seminário Patriarcal, die er unbemerkt durch eine verborgene Seitentür betreten hat. In dieser Kirche sind sämtliche Elemente des Stils der Jesuiten beispielhaft versammelt: Theatralik, überladene Ausschmückung, kostbare Materialien, prunkhafte Inszenierung. Hier ist die Religion eine Oper für das Göttliche, der Ort für groß orchestrierte Predigten, praktische Priesterausbildung. Der Reisende betrachtet die herrliche, mit Fresken bemalte Decke, von solch imposanter Größe, als hätte der Himmel sich zum Empfang der Immaculata und ihres Engelsgefolges mit

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