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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Fragilität wesentlich näher als Stein. Jedenfalls redet man uns das ein.
    Der Reisende wäre gern durch die Sakristei zu der Kapelle gegangen, in der sich das barocke Reliquiar des Frei Constantino de São Paio befindet. Er musste sich mit der Betrachtung der Sakristeitür begnügen, mit üppiger Blattwerkstilisierung von João de Castilho, die den Reisenden an seinem eigenen Geschmack zweifeln lässt: Vermutlich bewundernswert, denkt er, aber nicht vielleicht allzu bewundernswert? Es ist, als hätte die Tür einen Mund und sagte: »Hier bin ich, bewundere mich.« Der Reisende hat sich noch nie gern befehlen lassen.
    Vom Kreuzgang hat er den Gegensatz zwischen dem robusten Charakter der unteren Bogenreihe und der Leichtigkeit der oberen in Erinnerung. Zwei Epochen, zwei Arten, das Material zu bearbeiten, zwei Techniken, zweierlei Wissen über mögliche Härtegrade. Aber auch die Elemente der Kapitelle, robust und zart zugleich, haben ihn beeindruckt.
    Der Reisende besichtigt die Küche und das Refektorium, umringt von einer lärmenden Gruppe spanischer Schülerinnen. Zwei mächtige Hallen, entsprechend der Größe der Gesamtanlage. Der Reisende erfreut sich an dem noch immer durch die Küche rinnenden Wasser, reißt unter dem riesigen Rauchfang vor Staunen Mund und Augen auf, und als er das Refektorium betritt, kann er nicht umhin, sich vorzustellen, wie die Mönche alle dort saßen und diszipliniert auf das schmackhafte Mahl warteten, in Gedanken das Klappern des Geschirrs, der großen weißen Wasserkrüge zu hören und wie sie mit Appetit, angeregt von der Arbeit im Klostergarten, lebhaft kauten und schluckten und schließlich nach dem letzten Gebet zum Verdauungsspaziergang in den Kreuzgang hinausgingen, Herr, unser täglich Brot gib uns heute.
    Wie die Zeit vergeht. Bald wird das Kloster geschlossen. Die spanischen Mädchen sind inzwischen in dem großen Bus, der sie hergebracht hat, abgefahren, wo mögen sie um diese Zeit hinwollen? Der Reisende bleibt vor dem Portal stehen, schaut auf den Platz vor ihm, auf die Häuser, den Hügel mit der Burg. Der Ort ist im Schatten der Abtei entstanden und groß geworden. Heute lebt er aus eigener Kraft. Aber der Schatten fällt noch immer weit, oder vielleicht liegt es auch nur daran, dass die Sonne sich neigt und der Reisende sich täuschen lässt.

Das älteste Haus
    Am frühen Morgen ist der Reisende von Leiria aufgebrochen. Er hat etwas Feierliches, dieser Aufbruch, nicht so sehr, weil auf der Tagesroute historische Stätten und Kunstwerke stünden, und ein paar gibt es auch tatsächlich, sondern weil der Reisende, nachdem er so viele große Häuser besucht hat, heute das älteste Haus sehen wird. Aber wir wollen nichts vorwegnehmen und fahren deshalb zuerst nach Porto de Mós.
    Es ist eine hübsche, leuchtende Stadt mit weißen Häuserfronten, die sich rings um die Burg scharen. Nur dieses Bauwerk will der Reisende sich ansehen. Der Palast des Conde de Ourém fällt schon von weitem ins Auge mit seinen hohen, glitzernden pyramidenförmigen Türmen, dem enorm breiten Tor, der ganze Komplex sticht aus der portugiesischen Landschaft heraus, so wie auch die Burgen von Feira und Ourém. Die beiden könnten übrigens Vater und Mutter der Burg von Porto de Mós sein, falls nicht eine der beiden durch Chronologie und Rangfolge ihr Abkömmling ist. Die größte Ähnlichkeit besteht jedoch mit der Burg von Ourém. Hier muss seine Hand im Spiel der bereits erwähnte eigenwillige Dom Afonso gehabt haben, der in der Kirche des Städtchens begraben liegt und dessen Emblem – zwei Kräne – ihn eher in Verbindung mit der Kaste der Ingenieure bringt als mit jener, zu der er durch Geburt und Wappen zählte. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Dom Afonso, Conde de Ourém, war ein Adliger und unverdächtiger Abstammung; wir sollten uns nicht vorstellen, er sei aus der Art geschlagen. Dennoch wäre die Sache zu untersuchen. Ein gebildeter, weitgereister Mann, Liebhaber so besonderer Architektur – der Reisende wäre überhaupt nicht erstaunt, wenn nach gründlichem Kratzen an der Oberfläche Hinweise auf Abweichlertum zutage kämen.
    Nach Casais do Livramento am Nordhang der Serra da Mendiga windet sich die Straße in Kurven hinauf. Die Landschaft ist weit, kaum Baumbestand. Schon bald taucht weiter vorn die Serra d’Aire mit ihren einander im Osten und Westen gegenüberliegenden Bergspitzen auf. Die Straße führt durch das Tal, nun immer abwärts, zum Flachland des Tejo hin. Es

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