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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Phantasiegebäuden und Girlanden geschmückt. Die Wirkung ist überwältigend, die Jesuitenmaler wussten, was sie wollten und wie sie es erreichten. Schnitzwerk, schneeweißer Carrara-Marmor, Marmor-Intarsien zieren die Kapellen von oben bis unten. Der Rio Almonda ist von der Quelle bis zur Mündung tot, denkt der Reisende unvermittelt.
    Der Nachmittag ist abgekühlt. Der Reisende geht durch den Garten, hat die mächtigen Bäume bewundert, und nun steht er vor dem Besten, was Santarém zu bieten hat und mühsam wiederaufbaut: das Kloster São Francisco. Genauer gesagt: seine Reste. Es ist eine Ruine, der zertrümmerte Leib eines Riesen, der seine eigenen Teile zusammensucht und alle Augenblicke Teile anderer Riesen findet, Fragmente, Mauerstücke, Säulenstümpfe, einzelne Kapitelle, die einen gotisch, die anderen manuelinisch, wieder andere aus der Renaissance. Doch im Innern bietet São Francisco großartige Gotik aus dem 14. Jahrhundert, und ebenso in Ruinen, mit Brettern quer über Kuhlen, Erdhaufen auf dem Boden, Gerüsten, Rissen, durch die man den Himmel sieht, ist ein mit sichergestellten Teilen, von denen die meisten kaum mehr zusammenzusetzen sein werden, vollgestopfter Kreuzgang – diese vorläufig und wer weiß, für wie lange Zeit noch chaotische Masse erzählt dem Reisenden eine nicht wiederzugebende Geschichte von genau bemessenen Formen, von geistiger Kraft, die sich doch vom Boden nicht lösen will oder sich nur erhebt, um sich aufzurichten, nicht um sich Flügel wachsen zu lassen, denn die würden der Arbeit hier auf Erden nichts nützen. Dieses Kloster São Francisco sollte nach Meinung des Reisenden, und wenn er eine hat, dann verschweigt er sie nicht, lediglich so weit restauriert werden, dass es erhalten bleibt. Es ist eine Ruine und sollte auch eine bleiben. Ruinen waren schon immer beredter als ausgebesserte Bauwerke. An dem Tag, an dem die Kirche, wie man sagt, ihre neuen Türen für das Publikum öffnet, verabschiedet sie sich von ihrer größten Macht: Zeugnis abzulegen. In dem inneren Vorraum wird niemand hören wollen oder allenfalls gleichgültig zur Kenntnis nehmen, dass hier Dom João II. seinen Eid ablegte. Die Gegenwart besitzt ausreichend viele Stätten, von denen sie zur Zukunft sprechen kann. Dieses ist die Stimme der Vergangenheit. Schweigen wir also in diesem Kreuzgang, neben diesem leeren Grab, während wir mit dem Fuß im angesammelten Staub schaben. Schweigen ist nicht weniger lebendig als Sprechen.

So nah und doch sofern
    Gegenüber von Santarém liegt Almeirim. Residenz im 15. und 16. Jahrhundert, bevorzugter Altar für königliche Hochzeiten – auch der einfältigste Reisende würde erwarten, hier auf zahlreiche Reste der gloriosen Vergangenheit zu treffen. Nicht ein Stein. Die Stadt wirkt, als sei sie gestern entstanden, als habe sie keine Geschichte, abgesehen von der anonymen Geschichte der Arbeit, aber das gilt allgemein. Der Reisende, der alles zu seiner Zeit und an seinem Ort betrachtet, findet in Almeirim nicht die Spur von Kunst, die sein Interesse wecken könnte, abgesehen vom Palast des Marquis von Alorna, doch auch dieser spricht ihn nicht an.
    Der Weg ist einfach, immer einem Wasserlauf folgend, dem Tejo, dem Bach Alpiarça, dem schmalen Muge und weiter südlich, kurz vor Benavente, dem größeren Rio Sorraia. In Salvaterra de Magos besichtigt der Reisende die Kapelle des königlichen Palasts Paço Real, ein eigenwilliges Bauwerk, das mit seiner Raumaufteilung im Gegensatz zu den traditionellen Proportionen steht. Am sehenswertesten ist hier die Pietà aus dem 16. Jahrhundert, ein steif über dem Schoß der Jungfrau Maria liegender Christus, nur seine Arme hängen schlaff, als Ganzes erinnert die Arbeit an die Pietà von Belmonte, stellt sie aber nicht in den Schatten. Diese Skulptur ist aus Holz, wirkt aber, abgesehen von Marias gebeugtem Körper, als hätte der Künstler die minimalen Probleme an Plastizität, vor die das Material ihn stellte, nicht zu lösen vermocht. Der ältere Bildhauer von Belmonte hatte es mit Granit zu tun, und er hat in der einfachen Form einen dramatischen Ausdruck gefunden, den die schlichte Bemalung respektiert, wohingegen in Salvaterra de Magos die Farbe eine Stimmung auszudrücken versucht, die der Skulptur abgeht.
    An großen und kleinen Brücken war der Tag reich. Da ist die von Vila Franca de Xira, zwar schief in Entwurf und Stützen, doch nützlich. Fast hätte man ihr am Tag der Einweihung den Garaus gemacht, falls die

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