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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Diogo Boitaca und zeigt mit seiner ausgeprägten Höhe, die fast bis zum oberen Rundfenster reicht, sehr schön, wie sich die üppige manuelinische Ausschmückung in einen so glatten Giebel wie diesen einfügen kann. Zu der harmonischen Wirkung tragen fraglos die beiden Stützpfeiler bei, die den Mittelkorpus der Fassade abschließen – hier hat sich die Struktur mit ihrem eigenen Ausdruck in den Dienst des Dekorativen gestellt. Die Kirche von Golegã ist aus vielerlei Gründen sehenswert, doch am bemerkenswertesten für den Reisenden ist die so stolze, so demütige Erklärung über dem Eingang auf Spruchbändern, von Engeln gehalten, die, in heutige Sprache übertragen, lautet: »Ich erinnere an jenen, der mich erbaut hat.« Ob es Diogo Boitaca war, der das dorthin hat schreiben lassen, oder ob der Steinmetz es ohne Wissen des Meisters geschrieben hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls stehen dort diese wunderbaren Worte, wie sie alle Werke tragen könnten, die der Mensch geschaffen hat, eine Inschrift, die, auch wenn unsichtbar, jeder gute Reisende überall lesen sollte, zum Beweis dafür, dass er die Welt und alle, die noch in ihr leben, aufmerksam betrachtet.
    Das hier ist Campo da Golegã. Zu beiden Seiten der Landstraße haben die Menschen und der Fluss diesen Ort zustande gebracht. Sie haben ihn so flach errichtet, damit sie einander besser sehen können, während der Fluss von Weiden gehütet wird, bis für ihn die Stunde kommt, sein Werk fortzusetzen oder aber zu zerstören, woran die Menschen dann nicht ganz unschuldig sind. Die Straße führt geradeaus, keine Hügel müssen umrundet, keine Anhöhen überwunden werden, es ist fast eine perfekte Gerade bis zum nächsten Fluss, dessen Namen wir nicht verschweigen wollen: Almonda. Vor längst vergangener langer Zeit ging der Reisende gern dort drüben in das Moor Paul do Boquilobo, aber wenn er gehen sagt, ist das nur eine bequeme Ausdrucksweise, denn dort machte man alles Mögliche, im Boot durch die Kanäle fahren, auf dem Schlamm glitschen, nur gehen nicht. Doch der Reisende hatte seine ganz spezielle Art, sich über den baumbestandenen Teil des Moores fortzubewegen – er schwang sich von einem niedrigen Weidenast zum nächsten, nur zwei Handbreit über dem tiefen Sumpf, vielleicht auch nicht so tief, aber mit Sicherheit zu tief für seine damalige Körpergröße. Über viele Meter bewegte er sich so fort, bis zu den Bäumen, von denen aus man die Kanäle sehen konnte, und nie ist er in den Sumpf gefallen. Noch heute weiß er nicht, was sonst geschehen wäre.
    Von dieser Brücke wird der Reisende keine weitere Predigt an die Fische halten. Der Almonda ist ein toter Fluss, nur Fäulnis lebt in ihm. Als Kind hat der Reisende in diesem Wasser gebadet, und wenn der Almonda nie so klar wie die Gebirgsflüsse gewesen ist, dann lag das einzig daran, dass er Schlick mitführte, der als Dünger wirkte und deshalb willkommen war. Heute ist das Wasser vergiftet, wie schon in Torres Novas deutlich zu sehen war. Der Reisende ist nicht hierhergekommen, um über den Tod eines Flusses zu trauern, doch dass er tot ist, das wenigstens soll gesagt werden.
    Im Grunde ist dieses hier das Tor zum ältesten Haus. Die Straße verläuft zwischen alten, hohen Platanen, auf der einen Seite die Quinta de Santa Inês, auf der anderen die Quinta de São João, und dann tauchen die ersten Häuser auf. Cabo das Casas, wie man es nennt. Hier, in Azinhaga, ist der Reisende geboren. Doch damit niemand meint, er sei nur aus egoistischen, sentimentalen Gründen hierhergekommen, verweist er auf die Kapelle Ermida de São José, in der sich wunderschöne blau-gelbe Azulejos im Stil der Goldschmiedekunst finden sowie sehenswerte Deckenmalereien. In seiner Kindheit fürchtete sich der Reisende vor der Kapelle: Man erzählte sich, eines Nachts habe davor quer auf der Straße ein dicker Balken gelegen, woher er kam, konnte niemand erklären, und als ein Mann auf dem Weg nach Hause über ihn steigen wollte, gelang ihm das nicht, denn irgendetwas hielt ihn am Bein fest, und als dann eine Stimme sagte: »Hier kommt keiner durch«, bekam es der Mann mit der Angst und lief weg. Die Skeptiker im Dorf sagten, in Wirklichkeit sei er betrunken gewesen, eine Erklärung, die dem Reisenden damals nicht gefiel, denn damit nahm man ihm das Geheimnis und das Gruseln.
    Der Reisende wird nicht anhalten. Das älteste Haus steht nun leer. Es gibt noch ein paar Onkel und Tanten, entfernte Verwandte, die große

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