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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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ist heiß. Als der Reisende in Torres Novas einfährt, träumt er von der Kühle am Rio Almonda, dem Schatten der Trauerweiden, dem hohen Laub der Eschen und Pappeln. Dort liegt die Flussinsel mit ihren Bänken, Lauben und Vergnügungsbooten, ein Jammer, dass der Reisende keine Zeit hat. Als die Stadt sich ausdehnte, hat sie dem Fluss Raum gelassen, ihn nicht durch Bebauung dicht am Ufer zu sehr eingeengt – es sei denn, er hat sie in ihrem jugendlichen Ausdehnungsdrang mit Hochwasser ferngehalten. Wie dem auch sei, beide sind an ihrem Platz, Seite an Seite, und stören einander nicht. Der Reisende sieht sich kurz die Kirchen in der Stadt an, findet aber nichts besonders Erwähnenswertes daran (man bedenke, dass er am Tag zuvor die Herrlichkeiten von Santa Maria da Vitória und Santa Maria de Alcobaça gesehen hat) und beschließt, die Zeit bis zum Mittagessen mit einem Besuch im Museum von Carlos Reis auszufüllen. Vorher wirft er von der Brücke einen Blick auf den Fluss, kann aber kaum glauben, dass das ein Fluss sein soll: verdrecktes Wasser, dicke Schaumflocken, Abfälle, Todeszeichen. Der Reisende zieht sich in düsterer Traurigkeit zurück.
    Das Museum ist ein sympathisches Durcheinander. Zwar wählt es stärker aus und besitzt wertvollere Stücke, dennoch erinnert es in der Anordnung an das Museum von Ovar, und wie dieses zeigt es unbekümmert die unpassendsten Exponate nebeneinander. Neben (was aber nicht ganz wörtlich zu nehmen ist) einem außergewöhnlichen Bildnis der Nossa Senhora do Ó aus dem 15. Jahrhundert finden sich Modellbauten von Öl- und Weinpressen, wunderbar luftige, zarte Spitzen bilden mit einem Helm aus dem 12. Jahrhundert ein Paar, in einem kostbaren römischen Glasflakon spiegeln sich (sofern möglich) die dem Mestre de São Quintino zugeschriebenen Tafelbilder, und schließlich, um nicht zu sagen, dass alles sein tatsächliches oder erfundenes Gegenstück hat, ist hier die Statuette eines müden Eros, eine entzückende Figur eines Knaben, der nach anstrengenden Liebesschlachten vor zweitausend Jahren eingeschlafen und seitdem nie wieder aufgewacht ist. Der Reisende fragt, ob das Museum viel besucht wird, das gebildete junge Mädchen, das die Aufsicht führt, antwortet wie erwartet mit Nein, und beide blicken untröstlich auf die bescheidenen, aber dennoch mehr Beachtung verdienenden Räume. Draußen im Freien liegen Bruchstücke von Säulen, Simse, diverse Steinplatten. Kinder spielen dort, was für ihre ästhetische Erziehung nicht so schlecht sein mag, den Steinen aber überhaupt nicht bekommt, denn mit jedem Reiben ihrer kleinen Schuhe über die römische Inschrift geht ein Splitter Geschichte verloren. Der Reisende spaziert den Hügel hinunter, auf dem das Museum liegt, fragt nach einem Lokal zum Essen und wird so gut informiert, dass er hier erklären kann, er habe in Torres Novas den allerbesten Zickleinbraten seines Lebens entdeckt und genossen. Wie man solch ein kulinarisches Meisterwerk zustande bringt, weiß der Reisende nicht, davon versteht er nichts. Doch vertraut er seinem Gaumen, der die Urteilskraft eines unfehlbaren Weisen hat, sofern es so etwas gibt.
    Der Reisende ist wieder unterwegs. Ein Blick auf die Karte erübrigt sich. In dieser Gegend tragen die Orte Namen einer großen Familie, zu der die Ortschaften selbst zählen, die Menschen, die in ihnen leben oder gelebt haben, Bäume, Tiere, Mais- und Melonenfelder, Olivenhaine, Stoppeläcker, besorgniserregende Regenfluten und beängstigende Dürren. Es sind Namen, die der Reisende seit seiner Geburt kennt: Riachos, Brogueira, Alcorochel, Golegã. Letzteres ist für den Reisenden der verschlossenste Ort von ganz Portugal, auch wenn es sich für seinen berühmten Markt öffnet. Noch nie hat sich der Reisende zu Hause fühlen können in diesem flachen Städtchen, auf diesen endlos langen Straßen, von denen seit jeher Staubwolken aufsteigen, und selbst heute, als längst erwachsener Mann, ist er immer noch das Kind, dem der Name Golegã Angst machte, weil er immer verbunden war mit dem Zahlen von Steuern, dem Gericht, dem Standesamt, dem Tod eines Onkels, dem man den Schädel eingeschlagen hatte.
    Aber das sind persönliche Geschichten. Der Reisende reist wegen Dingen, die vermutlich für alle Menschen von Interesse sind, insbesondere aus dem Bereich der Kunst. Also besucht er die Kirche von Golegã, zweifellos das schönste Beispiel für manuelinische Architektur in ländlicher Umgebung. Das Portal ist eine Arbeit von

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