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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Gelübde einlösen wollen. Der Reisende hört zu, was der Reiseführer ihm erzählt, doch in der Annahme, zwischen ihnen wäre ein Gespräch möglich über Dinge, die sie wohl beide bewundern, äußert er eine einfache Bemerkung, eine gegensätzliche Meinung. Oh, hätte er das doch nicht getan! Der Mann gerät ins Stottern, Panik steht in seinem Blick, er zögert ein paar Sekunden, dann nimmt er den Faden seines Vortrags wieder dort auf, wo er unterbrochen wurde. Dem Reisenden wird klar, dass der Führer seine Aufgabe nur so erfüllen kann, und hält fortan den Mund. Dabei hätte er so gern etwas über das schöne Taufbecken gesagt, von denselben Händen gefertigt wie das Becken, das heute in der Neuen Kathedrale von Coimbra steht. Oder über die manuelinische Tür (ja, diese ist eindeutig manuelinisch), die zur Sakristei führt. Oder über anderes, worüber man diskutieren könnte. Aber das war nicht vorgesehen. Nichts zu machen.
    Von Caldas da Rainha nach Óbidos ist es nur ein Katzensprung. Der Reisende tut, was alle tun: Er betritt die Stadt durch das Stadttor Porta da Vila und erblickt überrascht den kleinen Vorbau auf der Innenseite mit dem Oratorium, eingerahmt von blauweißen Azulejo-Paneelen und der im Geschmack des 18. Jahrhunderts ausgemalten Kuppel. Wer nicht damit rechnet, vielleicht gesenkten Kopfes über das Leben nachdenkend oder aber auf die Schönheiten fixiert, die ihn innerhalb der Stadtmauern erwarten, das Tor passiert, riskiert, bei der Aufmerksamkeitsprüfung durchzufallen, vor allem wenn er im Auto sitzt. Natürlich ist das hier keine große Kunst, doch eine schöne Dekoration.
    Für den Geschmack des Reisenden sollte Óbidos weniger floral sein. Obwohl er, wie jeder normale Mensch, Blumen und ihren Duft mag, empfindet er sie hier als übertriebenen und unnötigen Zierrat – der chromatische Effekt der weißen Wände wird gemindert durch die Fülle an Blumen, in Strängen von den Mauern hängenden Grünpflanzen, Beeten voller Kletterpflanzen unterschiedlicher Art und Farben, Blumentöpfen selbst vor hohen Fenstern. Der Reisende bezweifelt nicht, dass das den meisten Besuchern gefällt, auch will er damit nicht sagen, sie hätten keinen guten Geschmack – er sagt nur seine Meinung, schließlich ist es seine Reise. Und er rechnet sogar schon damit, dass man ihm erwidern wird, solch ketzerische Äußerungen habe noch nie jemand zu machen gewagt. Möge man ihm in diesem Fall gestatten, dass er die Rolle des Vorreiters übernimmt.
    Doch im Übrigen wird Óbidos zu Recht gepriesen. Mag sein, dass es eine etwas künstliche Lebensart pflegt. Als obligatorische Station für Touristen hat es sich rundherum so herausgeputzt, dass es nicht nur auf einem Bild, sondern auf allen gut zur Geltung kommt. Óbidos ist ein bisschen wie ein junges Mädchen in alten Zeiten, das zum Tanzen geht und darauf wartet, dass man es auffordert. Wir sehen, wie es brav und adrett auf seinem Stuhl sitzt, nicht eine Wimper bewegt und sich ärgert, weil es nicht weiß, ob sich die Stirnlocke bei der Hitze aufgelöst hat. Aber dass das Mädchen bildhübsch ist, das lässt sich nicht leugnen.
    Auf einer Seite des harmonischen Hauptplatzes steht die Kirche Santa Maria, ein einziges Juwel. Dieser Eindruck stellt sich sofort ein beim Anblick der Proportionen der Stirnseite, des zarten Renaissance-Portals wie auch des schmucklosen, stämmigen Glockenturms. Und er bestätigt sich im Innern beim Anblick der herrlichen Deckendekoration, ein Fest für die Augen, die sich nicht sattsehen können an den Voluten, Medaillons und anderen Elementen, darunter rätselhafte und nicht gerade kanonische Figuren; beim Anblick des Sarkophags des Bürgermeisters von Óbidos und seiner Frau, dem ungemein produktiven Nicolas de Chanterenne zugeschrieben, fraglos eines der schönsten Werke, die die Coimbra-Schule der Renaissance hervorgebracht hat; desgleichen beim Anblick der Gemälde von Josefa de Ayala, auch wenn der Reisende bei dieser gefeierten Dame nicht unbedingt vor Begeisterung in Ohnmacht fällt; und selbst das pseudoarchaische Altarbild von João da Costa, der in der Stadt gearbeitet hat, vermag den Glanz von Santa Maria de Óbidos nicht zu trüben.
    Am Ende der Tagestour wird der Reisende nach Óbidos zurückkehren und hier übernachten. Nun aber, bevor es zu spät wird, fährt er noch einmal in Richtung Meer. Er kommt durch Serra d’El-Rei, das keineswegs ein Gebirge ist, wohl aber einmal königlich war. Hier finden sich Ruinen eines

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