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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Wandpaneele mit Szenen aus Marias Leben passen. Diese kleine, unprätentiöse Kirche ist wie das Innere eines kostbaren klösterlichen Reliquienschreins – man kann sich unschwer vorstellen, dass der Gläubige hier mühelos Bewohner anderer Sphären trifft und mit ihnen kommuniziert.
    Der Reisende beendet den Nachmittag an der Lagune von Óbidos mit einem Nickerchen, in dem er träumt, dass er, eskortiert von schwimmenden Engeln, im Kielwasser eines Barschs unterwegs zu den Berlenga-Inseln ist, während von der Festung in Peniche große Schwärme weißer Tauben auffliegen.

Es war einmal ein Sklave
    Bei der Einrichtung des Museums von Óbidos haben Kenner Hand angelegt. Es kann nicht einfach gewesen sein, ein Haus zu gestalten, das sich über mehrere Stockwerke mit jeweils relativ geringer Fläche in die Höhe erstreckt. Da das Museum klein ist, hätte die Versuchung bestanden, es mit Exponaten zu überladen. Das ist zum Glück nicht geschehen. Oder aber es gab nicht so viele. Die ausgestellten Gegenstände haben genügend Freiraum um sich herum, sodass das Auge nicht von benachbarten Exponaten abgelenkt wird. Der Besucher kann sich in Ruhe der Betrachtung hingeben, und wenn er das Glück hat, während seines Aufenthalts der einzige Besucher zu sein – so wie der Reisende –, dann wird er beim Verlassen des Museums tiefe Zufriedenheit empfinden, was man nicht alle Tage erlebt.
    Gleich am Eingang befindet sich ein großartiger Johannes der Täufer aus dem 15. Jahrhundert mit wallendem Haar und langem blonden Bart. Der Reisende kann nicht erkennen, welches die ursprünglichen Farben waren, gut möglich, dass das erwähnte Blond letztlich nur eine Grundierung war. Dieser Johannes erweckt den Eindruck, ein schon betagter Mann zu sein, was im Widerspruch zur biblischen Geschichte steht, nach der er noch jünger als Christus war. Außerdem, falls es dem Reisenden gestattet ist, sich in die Windungen der Seele eines anderen Menschen zu begeben, hätte dieser ehrwürdige Greis niemals die gefährliche Leidenschaft in der Tänzerin Salome wecken können, die sie veranlasste, ihre sieben Schleier zu lüften und, nachdem Herodes inzestuösen Gelüsten erlegen war, von ihm den Kopf dessen zu fordern, der sie abgewiesen hatte. Hier hat Johannes den Kopf noch auf den Schultern. Mit ihrem sanften Ausdruck zählt diese harmonisch konzipierte Figur zu den schönsten Darstellungen des Johannes, die der Reisende kennt.
    Von den Gemälden im Museum sei das Triptychon des heiligen Blasius erwähnt, insbesondere der rechte Flügel, der den Heiligen mit Gloriole zeigt. Der Engel, der sich aus den Wolken herabbeugt und dem Märtyrer den Weg zum Himmel weist, ist eine höchst fleischliche, aus anderen Gefilden, jenen der italienischen Renaissance, stammende Gestalt. Gleichfalls wunderschön ist die Gruppe der vier Bilder vom Martyrium des heiligen Vinzenz. Und dann ist da noch das Ensemble der schönsten Stücke aus der Kirche Misericórdia, eine Pietà mit einem Christus, der aussieht, als hätte er im Tod wieder die Größe des Jesuskindes angenommen, um sich in den Schoß der Mutter schmiegen zu können, ein Engel mit einem Hostienteller in der Hand, eine Heimsuchung als Hochrelief. In einer unteren Etage sieht der Reisende – zum ersten Mal, soweit er sich erinnern kann – ein Gemälde des heiligen Sebastian nach der Abnahme vom Marterpfahl. Damen in höfischer Kleidung ziehen die Pfeile aus seinem Leib. Es mutet wie eine aristokratische Vergnügung an, und der Heilige scheint eher zu schlafen, als im Sterben zu liegen.
    Alle diese Werke, gefertigt mit Pinsel oder Meißel, sagen direkt, was sie sind. Das trifft nicht auf den Brunnen einer Krippe zu, kleiner als eine Handfläche, an den Seiten so etwas wie riesige Ohren und darüber ein Fisch mit pfeilförmigem Schwanz. Dieses ist eindeutig ein Teufelswerk, denkt der Reisende, der immer dem Satan zuschreibt, was er nicht versteht. Der Künstler hat keinerlei Erklärung hinterlassen, vielleicht hatte er einen Hang zum Geheimnisvollen, oder seine Zeitgenossen wussten alle, dass Brunnen Ohren haben, so wie wir es heute von den Wänden sagen. Und dass in einem Brunnen, der Ohren hat, ein Fisch mit pfeilförmigem Schwanz schwimmt, das leuchtet ein. Doch der Reisende sagt all das, um seine Unwissenheit zu kaschieren.
    Bevor er Óbidos verlässt, geht der Reisende noch in die Kirche Misericórdia, die über dem Portal eine opulente Fayence-Jungfrau und im Innern schöne Azulejos besitzt.

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