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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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ein langer Strand, auf dem die Gezeiten der Jahrhunderte nach und nach ihr Strandgut abgeladen, langsam weitergebaut, langsam das eine durch das andere ersetzt und deshalb davon mehr als nur eine einfache Erinnerung hinterlassen haben: zuerst der gotische Palast von Dom Dinis, dann die von Dom João I., später die von Dom Afonso V und Dom João II. beschlossenen Anbauten und schließlich der ganze unter Dom Manuel I. errichtete Ostflügel. Im Palácio da Vila spürt man die Zeit, die vergangen ist. Es ist nicht die versteinerte Zeit des Palácio da Pena, auch nicht die verlorene Zeit des Monserrate oder das große Fragezeichen des Kapuzinerklosters. Als dem Reisenden in Erinnerung kommt, dass der Maler Jan van Eyck in diesem Palast gewesen ist, denkt er, dass zumindest ein paar Dinge in dieser Welt ihren Sinn haben.
    Für seinen Geschmack sollten ein paar Räume nackter sein, ihrer ursprünglichen Bestimmung möglichst ähnlich. Zum Glück reicht die Möblierung, deren sich die Fußböden nicht erwehren können, nicht bis zur Decke. So kann der Besucher die getäfelte Decke im Wappensaal, der Sala dos Brasões, betrachten, wie man es am Hof von Dom Manuel getan hat, wenn auch vielleicht mit anderen Augen, und, von nichts anderem abgelenkt, bemerken, dass das königliche Wappen hier wie eine Sonne dargestellt ist, um die, Satelliten gleich, die Wappen der Infanten kreisen sowie in einem zweiten Ring die Wappen des damaligen Adels. Auch die Decken des Schwanensaals, Sala dos Sisnes, und der Sala das Pegas, wo die gemalten Elstern alle die Worte »por bem« , »nichts für ungut«, im Schnabel tragen, obwohl sie aussprechen, was besser verschwiegen bliebe. Aber es wäre ungerecht, die herrlichen Azulejos nicht zu erwähnen, die in der Sala da Galé und alle anderen, nach einer Methode hergestellt, deren Geheimnisse vermutlich verlorengegangen sind. Und das beschäftigt den Reisenden sehr – nichts, was der Mensch erfunden oder entdeckt hat, dürfte verlorengehen, alles müsste weitergegeben werden. Wenn der Reisende nicht weiß, wie man diesen Blauton wieder herstellen könnte, ist er ärmer als alle Mönche im Capuchos zusammen.
    Es gibt wohl kaum etwas Schöneres und Friedvolleres als die Innenhöfe des Palácio da Vila, kaum etwas, das so heiter erhebend wirkt wie die gotische Kapelle. Als der christliche Geist auf den arabischen traf, wollte sich eine neue Kunst herausbilden. Man hat ihr die Flügel gestutzt, damit sie nicht zu einem Höhenflug ansetzte. Von den Vögeln im Paradies wäre sie einer der schönsten gewesen. Aber sie durfte sich nicht aufschwingen, durfte nicht leben.

Vor den Toren von Lissabon
    Wegen einiger Worte, die er im Palast von Sintra gehört hat, denkt der Reisende über den König nach, der dort neun Jahre lang gefangen gehalten wurde, Afonso getauft und der sechste seines Namens. Die einfachen Leute aus dem Volk nehmen sich immer sehr zu Herzen, wenn ihre Könige und Prinzen böse Schicksalsschläge erleiden, und die Vorstellung, dass ein legitimer König zwischen vier Wänden eingesperrt ist, immer auf und ab läuft, bis das Mosaik auf dem Fußboden abgenutzt ist, hätte fast nachträglich fraglos unangebrachte Empörung ausgelöst. Dieser Afonso VI. war nicht nur ziemlich schwachsinnig, er litt auch noch an anderen Defiziten und besaß nicht einmal das Minimum an Manneskraft, das man von Königen erwartet, damit sie die Erbfolge sichern. Nun gut, das sind Geschichten von Familien mit krankem Blut, die auch durch Wiederholung nicht besser werden. Die Dynastie Aviz erlosch mit einem degenerierten Dom Sebastião und einem altersschwachen Kardinal-Regenten, und das Haus Bragança hatte nach dem Tod des brillanten Dom Teodósio keinen besseren auf den Thron zu setzen als einen halb gelähmten Geistesschwachen, der sich Dirnen hielt. Der Reisende hätte gern Mitleid mit dem Mann empfunden, doch hält ihn davon der Gedanke an den grausamen Machtkampf im Palast ab, an dem sich alle beteiligten, König, Königin, Infant, italienischer und französischer Günstling sowie Minister, während im Land das einfache Volk geboren wurde, arbeitete, starb und die Zeche zahlte. Es hat Gefangene gegeben, denkt der Reisende, die mehr Achtung verdienten. Man sollte nicht alle über einen Kamm scheren.
    In Cascais geht der Reisende ins Museum Castro Guimarães, um sich Lissabon anzusehen. Das mag wie ein Widerspruch klingen, ist aber die reine Wahrheit. Hier befindet sich die Crónica de Dom Afonso Henriques

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