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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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von Duarte Galvão, auf deren Frontispiz eine minuziös gemalte Illumination die Hauptstadt des Reiches innerhalb ihrer Mauern im 16. Jahrhundert zeigt. Schiffe aller Art und Größe – naus , Karavellen, Kähne – segeln kreuz und quer über den Fluss, ohne jedoch zu kollidieren. Der Illuminator kannte sich mit Winden nicht sehr gut aus oder aber so gut, dass er sie nach Belieben dirigieren konnte. Im Museum gibt es noch mehr zu sehen, doch den Reisenden interessiert in erster Linie das Bild einer verschwundenen, in der Zeit versunkenen, von Erdbeben dem Boden gleichgemachten Stadt, die sich, indem sie wächst, selbst verschlingt.
    Dieser Küstenstreifen ist vor allem bei Touristen beliebt. Der Reisende ist kein Tourist, sondern ein Reisender. Das ist ein großer Unterschied. Reisen heißt entdecken, alles andere ist nur Vorfinden. Deshalb versteht sich, dass er ohne längeren Aufenthalt an diesen hübschen Stränden vorbeifährt, und falls er sich entschließt, bei Estoril kurz in die sanften Wellen zu tauchen, wird er sich darüber nicht auslassen. Der Reisende liebt zwar Parks und Grünanlagen, doch der blumengeschmückte Hang, der sich vom Kasino zum Strand hinunter erstreckt, ist nicht zum Promenieren gedacht, er wirkt eher wie ein Palastteppich, um den Besucher ehrfürchtig einen Bogen machen. Und in den stillen Straßen, die sich an den steilen Hängen ineinanderflechten, finden sich nur Mauern und verschlossene Pforten, Zäune und Buchsbaumhecken. Dies hier ist nicht Lamego, hier wird kein angetrunkener Mann auftauchen, dem Reisenden ein Zimmer zum Übernachten anbieten und über die höhere Bestimmung der Menschheit philosophieren. Dem Reisenden fällt ein, dass in der Nähe Überreste von Knochen und Schädeln gefunden wurden, die über Jahrtausende verborgen waren, dazu Steinbeile, Meißel und Dechsel sowie andere kleine Arbeits- oder Kultgeräte; dann blickt er auf die luxuriösen Hotels, die abweisende Grünanlage, die Passanten und Spaziergänger und kommt endgültig zu dem Schluss, dass die Welt kompliziert ist. Nach einer so originellen Schlussfolgerung muss erwähnt werden, dass der Reisende sich einen Sprung ins Meer versagt und das auch getan hätte, wenn er im Kasino die Bank gesprengt hätte.
    Vor ihm liegt nun also Lissabon. Doch ehe er sich in das Abenteuer begibt, das ihm tief innerlich etwas Bange macht, fährt der Reisende in den am Mündungsufer des Tejo liegenden Ort Carcavelos, um sich dort anzusehen, was nur sehr wenige kennen von der Million Menschen, die in Lissabon leben, von den Tausenden, die zum Baden an den Strand kommen, und das ist, um es zum Schluss zu bringen, die Pfarrkirche. Von außen gäbe niemand etwas auf sie – vier Wände, eine Tür, obendrauf ein Kreuz. Ein Jansenist würde sagen, mehr braucht man auch nicht, um Gott zu verehren. Zum Glück war der Erbauer dieser Kirche anderer Ansicht. In ihrem Innern befindet sich eine der herrlichsten polychromen Azulejo-Dekorationen, die dem privilegierten Reisenden je vor Augen gekommen sind. Mit Ausnahme der Kuppel über dem Transept sind sämtliche Wände, Bögen und Fensternischen mit diesem unvergleichlichen, heute so unglücklich verwendeten Material verkleidet. Da der Reisende in der Nähe wohnt, nimmt er sich vor, hierher zurückzukommen, und zwar noch viele Male. Ein größeres Kompliment kann es nicht geben.
    Vermutlich wäre es unangebracht, nicht nach Queluz zu fahren. Also fährt er und überwindet seine Antipathie gegen zwei Monarchen, die dort gelebt haben: Dom João VI., der, wenn er von sich selbst sprach, sagte: »Seine Majestät hat Bauchschmerzen« oder »Seine Majestät möchte Schweinsohren essen«, und Dona Carlota Joaquina, eine Frau mit schlechtem Benehmen, Intrigantin und obendrein noch hässlich wie die Nacht. Die Unterhaltungen zwischen diesen beiden müssen ziemlich amüsant gewesen sein und geradezu komisch, wenn sie sich auf die Pfade des Gefühls begaben. Doch der Reisende ist, was Privatleben betrifft, sehr diskret, und er ist nicht auf Reisen, um sich hinterher wie ein ordinäres Klatschmaul aufzuführen – lassen wir also die Königin mit ihren Lakaien-Liebhabern und den König mit seinen Verdauungsproblemen und sehen uns an, was dieser Palast zu bieten hat. Von außen wirkt er wie eine Kaserne oder wie ein großes rosa Bonbon, wenn der Betrachter in dem nach Neptun benannten Garten steht. Im Innern befindet sich die übliche Reihe von offiziellen Räumen und Privatgemächern: das

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